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Humboldt ein für allemal für die philosophische Betrachtung der Sprache festgestellt hat. „Man kann sich unmöglich“ – so betont er – „die Entstehung der Sprache als von der Bezeichnung der Gegenstände durch Wörter beginnend und von da zur Zusammenfügung übergehend denken. In der Wirklichkeit wird die Rede nicht aus ihr vorangegangenen Wörtern zusammengesetzt, sondern die Wörter gehen umgekehrt aus dem Ganzen der Rede hervor[1].“ Die Folgerung, die Humboldt hier aus einem spekulativen Grundbegriff seines sprachphilosophischen Systems – aus dem Begriff der „Synthesis“ als Ursprung alles Denkens und Sprechens – gewinnt[2], ist sodann durch die empirisch-psychologische Analyse in allen Teilen bestätigt worden. Auch sie betrachtet den „Primat des Satzes vor dem Wort“ als eines ihrer wichtigsten und sichersten Ergebnisse[3]. Zu dem gleichen Resultat führt die Sprachgeschichte, die überall zu lehren scheint, daß sich die Heraussonderung des Einzelwortes aus dem Satzganzen und die Abgrenzung der einzelnen Redeteile gegeneinander nur ganz allmählich vollzogen hat und daß sie frühen und primitiven Sprachgestaltungen noch so gut wie völlig fehlt[4]. Die Sprache beweist sich auch hierin als ein Organismus, in welchem, gemäß der bekannten Aristotelischen Definition, das Ganze früher als die Teile ist. Sie beginnt mit einem komplexen Gesamtausdruck, der sich erst nach und nach in Elemente, in relativ selbständige Untereinheiten zerlegt. So tritt sie uns, so weit wir sie auch zurückverfolgen mögen, immer schon als geformte Einheit entgegen. Keine ihrer Äußerungen kann als ein bloßes Beisammen einzelner materialer Bedeutungslaute verstanden werden, sondern in jeder treffen wir zugleich


  1. [1] Einleit. zum Kawi-Werk, W. VII, 1, 72 f.; vgl. bes. S. 143.
  2. [2] Vgl. hrz. ob. S. 104.
  3. [3] Dieser Primat wird außer von Wundt insbesondere auch von Ottmar Dittrich, Grundzüge der Sprachpsychologie I (1903) und Die Probleme der Sprachpsychologie (1913) verfochten.
  4. [4] Vgl. hierzu z. B. die Bemerkungen von Sayce, Introduction to the science of language I, 111 ff., sowie B. Delbrück, Vergl. Syntax der indogerman. Sprachen III, S. 5. Daß in den sogen. „polysynthetischen“ Sprachen eine scharfe Grenze zwischen dem einzelnen Wort und dem Ganzen des Satzes überhaupt nicht zu ziehen ist, ist bekannt; vgl. bes. die Darstellung der amerikanischen Eingeborenensprachen in Boas’ Handbook of the Americ. Ind. Languages I, 27 ff., 762 ff., 1002 ff. u. ö. Auch für die altaischen Sprachen betont H. Winkler, daß es in ihnen zur eigentlichen Worteinheit nur mangelhaft gekommen sei, vielmehr das Wort meist nur in seiner Satzzusammengehörigkeit zum Worte werde. (Das Uralaltaische und seine Gruppen, S. 9, 43 u. ö.) Und selbst in Flexionssprachen begegnen überall Reste eines altertümlichen Sprachzustandes, in dem die Grenzen zwischen Satz und Wort noch durchaus fließend waren, vgl. z. B. für die semitischen Sprachen die Bemerk. in Brockelmanns Grundriß II, 1 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/291&oldid=- (Version vom 19.3.2023)