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überhaupt. Die Sprache folgt niemals einfach dem Zuge der Eindrücke und Vorstellungen, sondern tritt ihm mit selbständiger Aktion gegenüber: sie unterscheidet, wählt und richtet und schafft vermöge solcher Stellungnahme erst bestimmte Zentren, bestimmte Mittelpunkte der objektiven Anschauung selbst. Diese Durchdringung der Welt der sinnlichen Eindrücke mit den inneren Maßen des Urteils und der Beurteilung hat zur Folge, daß die theoretischen Bedeutungsnuancen und die affektiven Wertnuancen in ihr zunächst noch ständig ineinander übergehen. Aber die innere Logik der Sprache bekundet sich nichtsdestoweniger darin, daß die Unterscheidungen, die sie schafft, nicht alsbald wieder vergehen und sich verflüchtigen, sondern daß sie eine Art von Beharrungstendenz, eine eigentümliche logische Konsequenz und Notwendigkeit besitzen, vermöge deren sie sich nicht nur selbst behaupten, sondern sich auch mehr und mehr von einzelnen Teilen der Sprachbildung über das Ganze derselben ausdehnen. Durch die Regeln der Kongruenz, die den grammatischen Bau der Sprache beherrschen und die namentlich in den Präfix- und Klassensprachen in schärfster Durchbildung vorhanden sind, übertragen sich die begrifflichen Unterschiede, die am Nomen getroffen werden, von hier auf die Gesamtheit aller sprachlichen Formen. Im Bantu muß jedes Wort, das zu einem Substantivum in attributive oder prädikative Beziehung tritt, jede Zahlbestimmung, jedes Adjektiv oder Pronomen, durch das es näher bezeichnet wird, das charakteristische Klassenpräfix des Wortes annehmen. Ebenso bezieht sich hier das Verbum durch je ein besonderes Präfix auf seinen Subjektsnominativ und auf das Wort, das zu ihm im Verhältnis des Objektsakkusativ steht[1]. So beherrscht das Prinzip der Klasseneinteilung, einmal gefunden, nicht nur die Gestaltung der Nomina, sondern greift von hier aus auf die gesamte syntaktische Fügung der Sprache über und wird zum eigentlichen Ausdruck ihres Zusammenhangs, ihrer geistigen „Artikulation“. So erscheint hier die Leistung der Sprachphantasie überall aufs engste verknüpft mit einer bestimmten Methodik des sprachlichen Denkens. Wieder zeigt hier die Sprache bei all ihrer Gebundenheit und Verflochtenheit in die Welt des Sinnlichen und Imaginativen die Tendenz und die Kraft zum Logisch-Allgemeinen, durch die sie sich fortschreitend zu einer immer reineren und selbständigen Geistigkeit ihrer Form befreit.


  1. [1] Vgl. hrz. die Darstellung der Syntax der Bantusprachen bei Meinhof, S. 83 ff. Ähnliches gilt für die Syntax der meisten Indianersprachen, vgl. hrz. Powell, Introduct. to the study of Indian languages, S. 48 f.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/289&oldid=- (Version vom 18.3.2023)