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Analyse der Begriffszusammenhänge führt hier zuletzt auf ihre „genetische Definition“ zurück: auf die Angabe eines Prinzips, aus dem sie entspringen und aus welchem sie, als dessen Besonderungen, abgeleitet werden können. Zu dieser Betrachtung vermag sich die Sprache so wenig in ihren qualifizierenden und „klassifizierenden“, wie in ihren im engeren Sinne „generischen“ Begriffen zu erheben. Aber sie bereitet ihr überall den Boden, indem sie das erste Schema der Zuordnung überhaupt schafft. Dieses Schema mag noch so wenig von der objektiven Zusammengehörigkeit der Inhalte selbst enthalten, so fixiert sich in ihm doch gleichsam die subjektive Seite des Begriffs, so stellt sich in ihm das dar, was er als Frage bedeutet. In der Tat hat auch geschichtlich die Entdeckung des Problems des Begriffs darin bestanden, daß man die sprachlichen Ausdrücke der Begriffe, statt sie als endgültig hinzunehmen, vielmehr als logische Fragen würdigen und verstehen lernte. Der Sokratische Ausdruck des Begriffs: das τί ἔστι hat hier seinen Ursprung: die Induktion, kraft welcher Sokrates zum Begriff „hinführt“, besteht darin, daß von der vorläufigen und präsumtiven Einheit der Wortform ausgegangen wird, um aus ihr die bestimmte und definitive Gestalt der logischen Begriffe zu gewinnen[1]. In diesem Sinne schließen auch die Zuordnungen und Klassifikationen der Sprache eben in der Subjektivität, die ihnen unvermeidlich anhaftet, zugleich eine gewisse Idealität, eine Richtung auf die objektive Einheit der „Idee“ in sich.

II. Grundrichtungen der sprachlichen Klassenbildung

Die Aufgabe, die verschiedenen Formen der Begriffs- und Klassenbildung, die in den Einzelsprachen wirksam sind, zu beschreiben, und sie in ihren letzten geistigen Motiven zu verstehen, liegt jenseits des Gebiets und der methodischen Möglichkeiten der Sprachphilosophie. Sie kann, soweit sie überhaupt lösbar ist, nur von der allgemeinen Linguistik und von den besonderen Sprachwissenschaften in Angriff genommen werden. Die Wege, die die Sprache hier einschlägt, sind so vielfältig verschlungen und so dunkel, daß es nur durch die genaueste Versenkung und durch die feinste Einfühlung in das Detail der Einzelsprachen gelingen kann, sie allmählich zu erhellen. Denn gerade die Art der Klassenbildung macht ein wesentliches Moment jener „inneren Form“ aus, durch welche sich die Sprachen spezifisch voneinander unterscheiden. Aber so wenig die reiche und vielseitige geistige Formung, die die Sprache hier vollzieht,


  1. [1] S. ob. S. 61 f.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/280&oldid=- (Version vom 14.3.2023)