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vielmehr als ein Prinzip der Selektion zu bezeichnen sei, – so gilt dies vor allem für die Form der sprachlichen Begriffsbildung. Hier werden nicht irgendwelche vorhandene, in der Empfindung oder Vorstellung gegebene Unterschiede des Bewußtseins einfach fixiert und mit einem bestimmten Lautzeichen, gleichsam als Marke, versehen, sondern es werden die Grenzlinien innerhalb des Ganzen des Bewußtseins erst selbst gezogen. Kraft der Determination, die das Tun in sich selbst erfährt, entstehen die Determinanten und die Dominanten des sprachlichen Ausdrucks. Das Licht dringt nicht einfach von den Gegenständen her in die Sphäre des Geistes ein, sondern es breitet sich, vom Zentrum des Tuns selbst, fortschreitend aus[1], und macht dadurch erst die Welt der unmittelbar-sinnlichen Empfindung zur von innen her erhellten, zur anschaulich und sprachlich gestalteten Welt. In diesem Prozeß erweist sich die Sprachbildung dem mythischen Denken und Vorstellen verwandt und bewahrt doch andererseits ihnen gegenüber eine selbständige Richtung, eine ihr eigentümliche geistige Tendenz. Wie der Mythos, so geht auch die Sprache von der Grunderfahrung und der Grundform des persönlichen Wirkens aus; aber sie schlingt nun die Welt nicht, wie dieser, wieder unendlich vielfältig in diesen einen Mittelpunkt zurück, sondern gibt ihr eine neue Form, in welcher sie der bloßen Subjektivität des Empfindens und Fühlens gegenübertritt. So gehen in ihr der Prozeß der Belebung und der Prozeß der Bestimmung stetig ineinander über und wachsen zu einer geistigen Einheit zusammen[2].


  1. [1] Als ein Beispiel für diesen Prozeß nehme man etwa, was Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter, S. 53, aus dem Altägypt. anführt: „Im Altägypt. bezeichnet das Wort kod der Reihe nach die verschiedenartigsten Begriffe: Töpfe machen, ein Töpfer sein, bilden, schaffen, bauen, arbeiten, zeichnen, schiffen, reisen, schlafen, außerdem substantivisch: Ebenbild, Bild, Gleichnis, Ähnlichkeit, Kreis, Ring. Allen diesen und ähnlichen Ableitungen liegt die Urvorstellung: „umdrehen, im Kreise herumdrehen“ zugrunde. Das Herumdrehen der Töpferscheibe rief die Vorstellung der bildnerischen Tätigkeit des Töpfers hervor, woraus allgemein der Sinn von „bilden, schaffen, bauen, arbeiten“ entstand.“
  2. [2] Am deutlichsten läßt sich dieser doppelte Weg vielleicht an der Gestaltung verfolgen, die der sprachliche Ausdruck der Tätigkeit selbst, die das Verbum in den flektierenden Sprachen erhält. Hier vereinen und durchdringen sich zwei scheinbar ganz verschiedene Funktionen, indem sich im Verbum auf der einen Seite die Kraft der Objektivierung, auf der anderen Seite die Kraft der Personifizierung am klarsten ausprägt. Auf das erstere Moment weist schon Humboldt hin, der im Verbum den unmittelbaren sprachlichen Ausdruck für den geistigen „Akt des synthetischen Setzens“ sieht. „Durch einen und denselben synthetischen Akt knüpft es durch das Sein das Prädikat mit dem Subjekt zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem energischen Prädikate in ein Handeln übergeht, dem Subjekte selbst beigelegt, also das bloß als verknüpfbar Gedachte zum Vorhandenen oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloß [257] den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der herniederfährt … Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über.“ (Einleit. zum Kawi-Werk, W. VII, 1, 214.) Auf der anderen Seite betont z. B. Hermann Paul, daß schon die sprachliche Form des Verbums als solche ein Moment der Naturbelebung in sich schließe, das der mythischen „Beseelung“ des Universums verwandt sei: in der Verwendung des Verbums überhaupt liege schon „ein gewisser Grad von Personifikation des Subjekts“ (Prinzipien der Sprachgeschichte ³, S. 89).
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/272&oldid=- (Version vom 4.3.2023)