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er über die anfängliche Form der Sprachwurzeln und der menschlichen Urworte vorbringt, bleibt ebenso hypothetisch und zweifelhaft, wie es die gesamte Annahme einer ursprünglichen „Wurzelperiode“ der Sprache ist. Aber auch wenn man nicht die Hoffnung hegt, von diesem Punkte aus in das letzte metaphysische Geheimnis des Sprachursprungs hineinblicken zu können, so zeigt doch schon die Betrachtung der empirischen Form der Sprachen, wie tief sie im Gebiet des Wirkens und Tuns, als ihrem eigentlichen Nähr- und Mutterboden, verwurzelt sind. Insbesondere in den Sprachen von Naturvölkern tritt dieser Zusammenhang überall deutlich hervor[1] – und die Kultursprachen zeigen ihn um so klarer, je mehr man, über den Kreis ihrer allgemeinen Begriffsworte hinaus, auf die Entwicklung hinblickt, die sie als besondere „Berufssprachen“ in verschiedenen Gebieten menschlicher Tätigkeit erfahren. Usener hat darauf hingewiesen, daß sich in der eigentümlichen Struktur dieser Berufssprachen ein gemeinsames Moment ausprägt, das ebensowohl für die Richtung der sprachlichen, wie für die Richtung der mythisch-religiösen Begriffsbildung kennzeichnend sei. Der Kreis der mythischen „Sondergötter“, wie der Kreis der individuellen und partikularen „Sondernamen“ werde erst allmählich überschritten, indem der Mensch von besonderen Tätigkeiten zu allgemeineren fortschreite und zugleich mit dieser wachsenden Allgemeinheit seines Tuns auch ein immer allgemeineres Bewußtsein desselben gewinne: – aus der Erweiterung des Tuns stamme erst die Erhebung zu wahrhaft universellen sprachlichen und religiösen Begriffen[2].

Der Inhalt dieser Begriffe und das Prinzip, das ihren Aufbau bestimmt, wird daher erst ganz durchsichtig, wenn man neben und hinter ihrem abstrakt logischen Sinn ihren teleologischen Sinn erfaßt. Die Wörter der Sprache sind nicht sowohl die Wiedergabe feststehender Bestimmtheiten der Natur und der Vorstellungswelt, als sie vielmehr Richtungen und Richtlinien des Bestimmens selbst bezeichnen. Hier steht das Bewußtsein der Gesamtheit der sinnlichen Eindrücke nicht passiv gegenüber, sondern es durchdringt sie und erfüllt sie mit seinem eigenen inneren Leben. Nur was die innere Aktivität in irgendeiner Weise berührt, was für sie „bedeutsam“ erscheint, empfängt auch sprachlich den Stempel der Bedeutung. Wenn man daher von den Begriffen überhaupt gesagt hat, daß das Prinzip ihrer Bildung statt als ein Prinzip der „Abstraktion“


  1. [1] Vgl. hrz. bes. einen Aufsatz Meinhofs, Über die Einwirkung der Beschäftigung auf die Sprache bei den Bantustämmen Afrikas (Globus, Bd. 75 [1899], S. 361 ff.).
  2. [2] Usener, Götternamen, Bonn 1896, bes. S. 317 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/271&oldid=- (Version vom 4.3.2023)