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Die Sprachphilosophie hat für die Gesamtheit dieser Fragen einen charakteristischen Begriff geschaffen, der freilich in seinem Gebrauch so vieldeutig und zwiespältig ist, daß er, statt eine bestimmte Lösung darzubieten, vielmehr zu ihren schwierigsten und meistumstrittenen Problemen zu gehören scheint. Man pflegt seit Humboldt, um das spezifische Gesetz zu bezeichnen, durch das sich jede Sprache in ihrer Begriffsbildung von anderen unterscheidet, von der „inneren Form“ der einzelnen Sprachen zu reden. Humboldt versteht unter diesem Begriff das Beständige und Gleichförmige in der Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Gedankenausdruck zu erheben, – sofern es so vollständig als möglich in seinem Zusammenhange aufgefaßt und systematisch dargestellt wird. Aber schon bei ihm selbst ist diese Bestimmung nicht eindeutig: denn bald soll sich die Form in den Gesetzen der sprachlichen Verknüpfung, bald soll sie sich in der Bildung der Grundwörter selbst darstellen und ausdrücken. Sie wird demnach, wie man gelegentlich mit Recht gegen Humboldt eingewandt hat, bald im morphologischen, bald im semasiologischen Sinne genommen; sie betrifft auf der einen Seite das Verhältnis, in dem bestimmte grammatische Grundkategorien, wie z. B. die Kategorien des Nomens und des Verbums, in der Bildung der Sprache zueinander stehen, auf der anderen Seite geht sie auf den Ursprung der Wortbedeutungen selbst zurück[1]. Überblickt man freilich das Ganze von Humboldts Begriffsbestimmungen, so tritt unverkennbar hervor, daß der letztere Gesichtspunkt der überwiegende und entscheidende für ihn ist. Daß jede besondere Sprache eine besondere innere Form hat, bedeutet ihm vor allem, daß sie in der Wahl ihrer Bezeichnungen niemals einfach die an sich wahrgenommenen Gegenstände ausdrückt, sondern daß diese Wahl vornehmlich durch die geistige Gesamthaltung, durch die Richtung der subjektiven Auffassung der Gegenstände bestimmt wird. Denn das Wort ist nicht ein Abdruck des Gegenstandes an sich, sondern des von diesem in der Seele erzeugten Bildes[2]. In diesem Sinne können die Wörter verschiedener Sprachen niemals Synonyma sein, kann ihr Sinn, genau und streng genommen, niemals durch eine einfache Definition, die schlechthin die objektiven Kennzeichen des durch sie bezeichneten Gegenstandes aufzählt, mit umschlossen werden. Es ist immer eine eigene Weise der Sinngebung selbst, die sich in den Synthesen und Zuordnungen ausdrückt, auf


  1. [1] Humboldt, Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, 47 ff.), vgl. hrz. die Bemerkungen von B. Delbrück, Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen, Straßb. 1893 ff., I, 42.
  2. [2] Vgl. Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, 59 f., 89 f., 190 f. u. ö.) ob. S. 101 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/267&oldid=- (Version vom 10.2.2023)