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Physik fassen und darstellen läßt. So erweist er sich schon für Kant selbst, sobald er dazu fortschreitet, in dem Ganzen der drei Kritiken das wahrhafte „System der reinen Vernunft“ zu entwickeln, als zu eng. Das mathematisch-naturwissenschaftliche Sein erschöpft in seiner idealistischen Fassung und Deutung nicht alle Wirklichkeit, weil in ihm bei weitem nicht alle Wirksamkeit des Geistes und seiner Spontaneität befaßt ist. In dem intelligiblen Reich der Freiheit, dessen Grundgesetz die Kritik der praktischen Vernunft entwickelt, in dem Reich der Kunst und im Reich der organischen Naturformen, wie es sich in der Kritik der ästhetischen und der teleologischen Urteilskraft darstellt, tritt je eine neue Seite dieser Wirklichkeit heraus. Diese allmähliche Entfaltung des kritisch-idealistischen Begriffs der Wirklichkeit und des kritisch-idealistischen Begriffs des Geistes gehört zu den eigentümlichsten Zügen des Kantischen Denkens und ist geradezu in einer Art Stilgesetz dieses Denkens begründet. Die echte, die konkrete Totalität des Geistes soll nicht von Anfang an in einer einfachen Formel bezeichnet und gleichsam fertig hingegeben werden, sondern sie entwickelt, sie findet sich erst in dem stetig weiterschreitenden Fortgang der kritischen Analyse selbst. Der Umfang des geistigen Seins kann nicht anders bezeichnet und bestimmt werden, als dadurch, daß er in diesem Fortgang abgeschritten wird. Es liegt in der Natur dieses Prozesses, daß sein Anfang und sein Ende nicht nur auseinanderfallen, sondern daß sie einander scheinbar widerstreiten müssen – aber der Widerstreit ist kein anderer, als er zwischen Potenz und Akt, zwischen der bloßen logischen „Anlage“ eines Begriffs und seiner vollständigen Entwicklung und Auswirkung besteht. Vom Standpunkt dieser letzteren nimmt auch die Copernikanische Drehung, mit der Kant begonnen hatte, einen neuen und erweiterten Sinn an. Sie bezieht sich nicht allein auf die logische Urteilsfunktion, sondern greift mit gleichem Grund und Recht auf jede Richtung und auf jedes Prinzip geistiger Gestaltung über. Immer liegt die entscheidende Frage darin, ob wir die Funktion aus dem Gebilde oder das Gebilde aus der Funktion zu verstehen suchen, ob wir diese in jenem oder jenes in dieser „begründet“ sein lassen. Diese Frage bildet das geistige Band, das die verschiedenen Problemgebiete mit einander verknüpft: – sie stellt deren innere methodische Einheit dar, ohne sie jemals in eine sachliche Einerleiheit zusammenfallen zu lassen. Denn das Grundprinzip des kritischen Denkens, das Prinzip des „Primats“ der Funktion von dem Gegenstand, nimmt in jedem Sondergebiet eine neue Gestalt an und verlangt eine neue selbständige Begründung. Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/26&oldid=- (Version vom 4.8.2020)