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Vorgang einerseits zwar als konkret-anschauliches Ganze erfaßt wird – so gelangt doch andererseits darin die Einheit des Geschehens und insbesondere die Einheit des Subjekts des Tuns nicht zur scharfen sprachlichen Auszeichnung und Abhebung[1]. Das volle Licht der Sprache trifft gleichsam nur den Inhalt des Geschehens selbst – nicht das Ich, das an ihm tätig beteiligt ist. Dies zeigt sich auch darin, daß z. B. in den meisten Indianersprachen die Flexion des Verbums nicht durch das Subjekt, sondern durch das Objekt der Handlung beherrscht wird. Das transitive Verbum wird seinem Numerus nach nicht durch das Subjekt, sondern durch das direkte Objekt bestimmt: es muß in der Pluralform stehen, wenn es sich auf eine Mehrheit von Gegenständen, auf die gewirkt wird, bezieht. So wird hier das grammatische Objekt des Satzes zu seinem logischen Subjekt, welches das Verbum regiert[2]. Die Gestaltung des Satzes und die gesamte Gestaltung der Sprache nimmt vom Verbum ihren Ausgang, aber dieses selbst verharrt in der Sphäre der objektiven Anschauung: der Eintritt und der Ablauf des Ereignisses, nicht die Energie des Subjekts, die sich in der Handlung bekundet, ist das, was die Sprache als das wesentliche Moment heraushebt und zur Darstellung bringt.

Eine Änderung dieser Grundanschauung stellt sich uns erst in denjenigen Sprachen dar, die zu einer rein personalen Gestaltung der verbalen Handlung übergegangen sind, bei denen also die Konjugation ihrem Grundtypus nach nicht in einer Verbindung des Verbalnomens mit possessiven Suffixen, sondern in einer synthetischen Verknüpfung des verbalen Ausdrucks mit dem Ausdruck für die persönlichen Fürwörter


  1. [1] Für das Verbum der Klamath-Sprache betont Gatschet (a. a. O., S. 572 f.), daß es den verbalen Akt oder Zustand immer nur in der impersonalen und indefiniten Form – vergleichbar unserem Infinitiv – zum Ausdruck bringe. In einer Satzfügung wie Du-brechen-Stock bezeichne daher der verbale Ausdruck nur das Brechen schlechthin ohne Rücksicht auf sein Subjekt. Ebenso besitzen die Maya-Sprachen keine transitiven aktiven Verben in unserem Sinne: sie kennen nur Nomina und absolute Verba, die einen Zustand des Seins, eine Eigenschaft oder eine Tätigkeit bezeichnen, welche als Prädikate zu einem Personalpronomen oder einer dritten Person als Subjekt konstruiert werden, die aber kein direktes Objekt zu sich nehmen können. Die Worte, die zur Darstellung einer transitiven Handlung dienen, sind wurzelhafte oder abgeleitete Nomina, die als solche mit dem Possessivpräfix verbunden werden. Ein Mayasatz wie „du hast meinen Vater getötet“, „du hast das Buch geschrieben“ besagt daher eigentlich: „dein Getöteter ist mein Vater, dein Geschriebenes ist das Buch“. (Näheres bei Ed. Seler, Das Konjugationssystem der Maya-Sprache, Berlin 1887, S. 9, 17 ff.) Auch im Verbalausdruck der malayischen Sprachen sind solche „impersonale“ Wendungen häufig; man sagt hier: mein Sehen (war) der Stern für: ‚ich sah den Stern‘ u. s. f., vgl. Humboldt, Kawi-Werk II, 80, 350 f., 397.
  2. [2] Vgl. Gatschet, a. a. O., S. 434 u. bes. Ed. Seler, a. a. O.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/257&oldid=- (Version vom 19.1.2023)