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sprachliche Gebilde, selbst ganze Sätze können bisweilen in dieser Art „konjugiert“ werden[1]. Wenn wir geneigt sind, derartige Erscheinungen als Beweise der „Formlosigkeit“ einer Sprache aufzufassen, so sollten wir sie vielmehr als Belege des charakteristischen „Werdens zur Form“ betrachten. Denn gerade in der Unbestimmtheit, die der Sprache hier noch anhaftet, in der mangelnden Ausbildung und Trennung ihrer einzelnen Kategorien, liegt vielmehr ein Moment ihrer eigenen Bildsamkeit und ihrer wesentlichen inneren Bildungskraft. Der bestimmungslose Ausdruck enthält noch alle Möglichkeiten der Bestimmung in sich und überläßt es gleichsam der weiteren Entwicklung der besonderen Sprachen, für welche dieser Möglichkeiten sich jede von ihnen entscheiden will.

Ein allgemeines Schema dieser Entwicklung aufstellen zu wollen, scheint freilich ein vergebliches Bemühen, denn gerade darin, daß jede Sprache im Aufbau ihres Kategoriensystems verschieden verfährt, liegt der konkrete Reichtum dieser Entwicklung beschlossen. Nichtsdestoweniger läßt sich diese konkrete Fülle der Ausdrucksformen, ohne ihr Gewalt anzutun, auf gewisse Grundtypen beziehen und um sie gruppieren. Einzelnen Sprachen und Sprachgruppen, die den nominalen Typus in voller Reinheit und Strenge ausgebildet haben, in denen somit der gesamte Aufbau der Anschauungswelt durch die gegenständliche Anschauung beherrscht und geleitet erscheint, stehen andere gegenüber, in denen der grammatische und syntaktische Bau durch das Verbum bestimmt und dirigiert wird. Und auch im letzteren Falle ergeben sich wieder zwei verschiedene Formen sprachlicher Gestaltung, je nachdem der verbale Ausdruck als bloßer Vorgangsausdruck oder als reiner Tätigkeitsausdruck gefaßt wird, je nachdem er sich in den Verlauf des objektiven Geschehens versenkt oder das handelnde Subjekt und seine Energie heraushebt und in den Mittelpunkt rückt. Was den ersten, streng nominalen Typus betrifft, so hat er eine scharfe und deutliche Ausprägung vor allem in den Sprachen des altaischen Kreises erfahren. Hier ist der gesamte Satzbau derart gegliedert, daß sich ein gegenständlicher Ausdruck einfach an den anderen reiht und sich attributiv mit ihm verknüpft, wobei jedoch dieses einfache Prinzip der Gliederung, indem es streng und allseitig durchgeführt wird, eine Fülle höchst komplexer Bestimmungen zur klaren und in sich geschlossenen Darstellung bringen kann. „Ich stehe nicht an“ – so urteilt


    an, ob von der ersten, der zweiten oder einer dritten Person Singularis, Dualis, Trialis oder Pluralis die Rede ist, ob es sich um ein Gegenwärtiges, Vergangenes oder Zukünftiges, Gewolltes usw. handele.

  1. [1] So im Alëutischen, vgl. V. Henry, a. a. O., S. 60 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/251&oldid=- (Version vom 19.1.2023)