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individualisierende Bedeutung hat, also meine Hand, deine Hand, u. s. f. bedeutet, ein generalisierendes Suffix hinzutreten[1]. Diese Verschmelzung des Nominalausdrucks mit dem Possessivpronomen greift dann weiter von der Bezeichnung der menschlichen Gliedmaßen auch auf andere Inhalte über, sofern sie in besonders naher Zugehörigkeit zum Ich und gleichsam als ein Teil seines geistig-natürlichen Seins gedacht werden. Häufig sind es insbesondere die Ausdrücke für natürliche Verwandtschaftsgrade, die Ausdrücke für Vater und Mutter u. s. f., die nur in fester Verbindung mit dem possessiven Pronomen auftreten[2]. Es ergibt sich hier das gleiche Verhältnis, das uns zuvor in der Gestaltung des verbalen Ausdrucks entgegentrat: daß nämlich für die Anschauung der Sprache die objektive Wirklichkeit nicht eine einzige homogene Masse bildet, die der Welt des Ich einfach als Ganzes gegenübersteht, sondern daß hier verschiedene Schichten dieser Wirklichkeit bestehen, daß nicht eine allgemeine und abstrakte Beziehung zwischen Objekt und Subjekt schlechthin vorhanden ist, sondern daß sich verschiedene Stufengrade des Objektiven, je nach seiner größeren ‚Nähe‘ oder ‚Ferne‘ zum Ich, noch deutlich gegeneinander absondern.

Und aus dieser Konkretion, in welcher hier die Subjekt-Objekt-Beziehung gegeben ist, folgt nun noch ein weiterer Zug. Der Grundcharakter des reinen Ich besteht darin, daß es, im Gegensatz zu allem Objektiven und Dinghaften, absolute Einheit ist. Das Ich, als reine Form des Bewußtseins gefaßt, enthält keinerlei Möglichkeit innerer Unterschiede mehr: denn solche Unterschiede gehören nur der Welt der Inhalte an. Wo immer daher das Ich als Ausdruck des Nicht-Dinglichen in strengem Sinne genommen wird, da muß es als „reine Identität mit sich selbst“ gefaßt werden. Schelling hat in seiner Schrift „Vom Ich als Prinzip der Philosophie“ diese Folgerung aufs schärfste gezogen. Ist das Ich nicht sich selbst gleich, ist seine Urform nicht die Form reiner Identität – so betont er –, so verwischt sich alsbald wieder die strenge Grenze, die es von aller inhaltlich-gegenständlichen Wirklichkeit scheidet und die es erst zu einem unverkennbar Selbständigen und Eigenen macht. Das Ich ist daher entweder gar nicht oder nur in dieser Urform der reinen Identität zu denken[3]. Aber zu dieser Anschauung des reinen, des „transzendentalen“ Ich und seiner Einheit vermag die Sprache nicht unvermittelt


  1. [1] Codrington, a. a. O., S. 140 f.
  2. [2] Vgl. z. B. Reinisch, Nuba-Sprache, S. 45; für die amerikan. Sprachen s. Boas’ Handbook, z. B. I, 103.
  3. [3] S. Schelling, Vom Ich, § 7; S. W. I, 177.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/240&oldid=- (Version vom 8.1.2023)