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derart, daß an die unbestimmte Infinitivform ein possessives Affix herantritt, – so daß also z. B. der Ausdruck für ‚ich gehe‘ eigentlich ‚mein Gehen‘ besagt, oder daß etwa die Ausdrücke für ‚ich baue, du baust, er baut‘ sprachlich genau die gleiche Struktur wie die für ‚mein Haus, dein Haus, sein Haus‘ aufweisen[1]. Daß diese Eigentümlichkeit des Ausdrucks eine eigentümliche Anschauung des Verhältnisses von „Ich“ und „Wirklichkeit“ zugrunde liegt, ist unverkennbar. Wundt sieht die psychische Ursache für dieses Verharren der Nominalformen im Gebiet transitiver Verbalbegriffe darin, daß im transitiven Verbum das Objekt, auf das sich die Handlung beziehe, stets unmittelbar im Bewußtsein gegeben sei, also vor allem anderen zur Bezeichnung dränge, so daß hier der Nominalbegriff stellvertretend für den ganzen, die Handlung ausdrückenden Satz eintreten könne[2]. Aber damit ist der Tatbestand, um den es sich hier handelt, nicht sowohl psychologisch erklärt, als vielmehr nur psychologisch umschrieben. Es ist eine geistig-verschiedene Ansicht des Tuns, die sich in seiner Bezeichnung als reiner Akt, als actus purus und die sich in der Bezeichnung seines objektiven Zieles und seines objektiven Ergebnisses ausspricht. In dem einen Fall geht der Ausdruck des Tuns in das Innere der Subjektivität, als seinen Ursprung und seine Quelle, zurück; im anderen konzentriert er sich auf seinen Ertrag, um erst diesen wieder, durch das besitzanzeigende Pronomen, gleichsam in die Sphäre des Ich zurückzunehmen. Die Beziehung des Ich auf den gegenständlichen Inhalt ist in beiden Fällen vorhanden, aber sie trägt in dem einen sozusagen ein entgegengesetztes Vorzeichen, als im anderen: die Richtung der Bewegung geht das eine Mal vom Zentrum zur Peripherie, das andere Mal von der Peripherie zum Zentrum.

Ganz besonders eng gestaltet sich diese im possessiven Fürwort ausgedrückte und also durch die Idee des Besitzes vermittelte Verknüpfung von Ich und Nicht-Ich, wenn das Nicht-Ich nicht schlechthin ein beliebiger Gegenstand der ‚Außenwelt‘ ist, sondern dem Gebiet angehört, in dem das „Innere“ und das „Äußere“ sich zu berühren und unmittelbar ineinander überzugehen scheinen. Selbst spekulative Philosophen haben den menschlichen Leib als diejenige Wirklichkeit bezeichnet, in welcher dieser Übergang sich für uns in unverkennbarer Deutlichkeit vollziehe. So sind nach Schopenhauer das Ich und der Leib nicht zwei objektiv


  1. [1] S. H. Winkler, Der ural-altaische Sprachstamm, S. 76 f., 171; Beispiele aus anderen Sprachkreisen finden sich in Fr. Müllers Grundriß, z. B. I, 2, 12, I, 2, 116 f., 142, 153. II, 1, 188, III, 2, 278 u. ö.
  2. [2] Wundt, a. a. O., II, 143.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/238&oldid=- (Version vom 8.1.2023)