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Fragt man freilich nicht sowohl nach der Form, in welche die Sprache die Ichvorstellung kleidet, als vielmehr nach dem geistigen Gehalt dieser Vorstellung selbst, so zeigt sich, daß der letztere auch innerhalb des Gebiets des rein nominalen oder verbalen Ausdrucks zu scharfer Bezeichnung und zu deutlicher Bestimmung gelangen kann. In fast allen Sprachen, die eine Unterscheidung der Nomina nach bestimmten Klassen durchführen, findet sich der Gegensatz einer Personen- und einer Sachenklasse bestimmt entwickelt. Und es handelt sich hierbei nicht um eine einfache, gleichsam biologische Abgrenzung zwischen dem Gebiet des Belebten und des Unbelebten, die als solche noch ganz der Anschauung der Natur angehören würde, sondern um oft überraschende Feinheiten in der Auffassung und Nuancierung persönlichen Daseins. In den Bantusprachen bezeichnet eine eigene, durch ein besonderes Präfix herausgehobene Klasse den Menschen als selbständig handelnde Persönlichkeit, während eine andere Klasse die belebten, aber nicht persönlichen Wesen umfaßt. In diese letztere wird der Mensch immer dann eingereiht, wenn er nicht als selbständig Handelnder, sondern als Organ und als Vertreter eines anderen, z. B. als sein Bote, sein Gesandter oder Geschäftsträger auftritt. Die Sprache trennt also hier die Arten und die Grade der Persönlichkeit je nach der Funktion, die sie ausübt und je nach der selbständigen oder unselbständigen Form und Richtung des Willens, die sich darin ausprägt[1]. Einen Keim zu dieser Grundanschauung kann man auch in denjenigen Sprachen finden, die die Benennung persönlicher Wesen dadurch von bloßen Sachbezeichnungen unterscheiden, daß sie ihr einen besonderen „persönlichen Artikel“ vorangehen lassen. In den melanesischen Sprachen wird ein solcher Artikel regelmäßig den Namen von Individuen


    sind, und nach Humboldt (W. VI, 1, 307 f. u. Kawi-Werk II, 335) einem „Zustande halber Zivilisation“ angehören. Hier werden für die zweite, angeredete Person Ausdrücke der Erhabenheit (wie Herrscher, Herrlichkeit), für das eigene Ich Ausdrücke der Erniedrigung (wie Diener, Sklave u. s. f.) gebraucht. Am weitesten hierin ist das Japanische gegangen, in welchem durch solche Höflichkeitsumschreibungen, die nach dem Range des Sprechenden und des Angeredeten aufs genaueste abgestuft werden, der Gebrauch der persönlichen Pronomina völlig verdrängt worden ist. „Die Unterscheidung dreier grammatischer Personen (ich, du, er)“ – sagt Hoffmann (Japan. Sprachlehre, S. 75) hierüber – „ist der japanischen Sprache fremd geblieben. Alle Personen, sowohl die des Sprechenden, als die, zu der oder von der man spricht, werden als Inhalt der Vorstellung, also, nach unserem Idiom, in der dritten Person aufgefaßt und die Etikette hat, die Bedeutung der Eigenschaftswörter betrachtend, zu entscheiden, welche Person mit diesem oder jenem Worte gemeint sei. Die Etikette unterscheidet allein zwischen dem Ich und Nicht-Ich, erniedrigt das eine, erhöht das andere.“

  1. [1] Vgl. hrz. Meinhof, Bantugrammatik, S. 6 f.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/228&oldid=- (Version vom 17.12.2022)