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eine räumliche Anschauung ein, wo das abstrakt-logische Denken einen reinen Beziehungsbegriff zu fordern scheint. Und damit schließt sich wieder der Kreis unserer Betrachtung. Von neuem zeigt sich, daß die Begriffe von Raum, Zeit und Zahl das eigentliche Grundgerüst der objektiven Anschauung ausmachen, wie sie sich in der Sprache aufbaut. Aber sie können ihre Aufgabe nur vollziehen, weil sie sich, ihrer Gesamtstruktur nach, in einer eigentümlichen ideellen Mitte halten – weil sie eben dadurch, daß sie durchaus an der Form des sinnlichen Ausdrucks festhalten, das Sinnliche selbst fortschreitend mit geistigem Gehalt erfüllen und es zum Symbol des Geistigen gestalten.

IV. Die Sprache und das Gebiet der „inneren Anschauung“. – Die Phasen des Ichbegriffs
1.

Die Analyse der Sprache war bisher wesentlich darauf gerichtet, die Kategorien aufzuweisen, nach denen sie im Aufbau der objektiven Anschauungswelt verfährt. Aber schon hier zeigte es sich, daß diese methodisch gesetzte Grenze sachlich nicht in wirklicher Strenge festzuhalten war. Überall sahen wir uns vielmehr schon bei der Darstellung jener „objektiven“ Kategorien auf die subjektive Sphäre zurückgewiesen; überall ergab sich, daß jede neue Bestimmung, die die Welt der Gegenstände innerhalb der Sprache empfing, auch auf die Bestimmung der Ichwelt zurückwirkte. Denn in Wahrheit handelt es sich hier um korrelative Anschauungskreise, die sich wechselseitig ihre Grenzen bestimmen. Jede neue Gestalt des Objektiven, wie z. B. seine räumliche, seine zeitliche, seine zahlenmäßige Erfassung und Sonderung ergab daher zugleich ein verändertes Bild der subjektiven Wirklichkeit und schloß auch an dieser rein „inneren“ Welt neue Züge auf.

Aber daneben verfügt nun die Sprache über eigene und selbständige Mittel, die rein der Erschließung und Gestaltung dieses anderen, „subjektiven“ Daseins dienen: – und sie sind in ihr nicht minder festgewurzelt und nicht minder ursprünglich, als die Formen, in denen sie die Dingwelt erfaßt und darstellt. Noch heute begegnet freilich vielfach die Anschauung, daß die Ausdrücke, mit denen die Sprache das persönliche Sein und die Verhältnisse in ihm wiedergibt, gegenüber den anderen, die der Sach- und Dingbestimmung angehören, nur von abgeleiteter und sekundärer


    -ero-, -tero- rühren nach Brugmann (Kurze vgl. Grammat., S. 321 ff.) von Adverbien lokaler Bedeutung her.

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/224&oldid=- (Version vom 21.11.2022)