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und von dem inklusiven und exklusiven Plural macht. Beides sind nahe verwandte Erscheinungen. Besonders streng ist der Gebrauch des Duals und Trials in den melanesischen Sprachen geregelt, die in jedem Falle, wo von zwei oder drei Personen die Rede ist, sorgfältig darauf achten, daß eine entsprechende Zahlbestimmung verwendet wird; – und hier erhält auch die Form der ersten Person des Pronomens eine andere Gestalt, je nachdem der Redende sich in die Bezeichnung des „Wir“ einschließt oder von ihr ausschließt[1]. Auch die australischen Eingeborenensprachen pflegen zwischen dem Singular und Plural die Formen des Dual und Trial einzuschieben, wobei letztere je eine Form besitzt, die den Angeredeten einschließt und eine andere, die ihn ausschließt. Das „wir beide“ kann also bald ‚du und ich‘, bald kann es ‚er und ich‘; das „wir drei“ kann ‚ich und du und er‘, bald kann es ‚ich und er und er‘ u. s. f. bedeuten[2]. In manchen Sprachen drückt sich diese Unterscheidung schon in der lautlichen Form der Mehrheitsbezeichnung aus – wie z. B. in der Delaware-Sprache nach Humboldt der inklusive Plural aus einer Zusammenfügung der Pronominallaute für „ich“ und „du“, der exklusive dagegen aus einer Wiederholung des Pronominallauts für „ich“ gebildet wird[3]. Die Ausbildung der homogenen Zahlenreihe und der homogenen Zahlanschauung setzt schließlich dieser im strengen Sinne individualisierenden Auffassung eine bestimmte Grenze. An die Stelle der besonderen Individuen tritt die Gattung, die sie insgesamt und in gleicher Weise umfaßt, an die Stelle der qualifizierenden Besonderung der Elemente tritt die Gleichartigkeit des Verfahrens und der Regel, nach denen sie zu quantitativen Ganzen zusammengefaßt werden.

Überblickt man jetzt das Ganze des Verfahrens, das die Sprache in der Bildung der Zahlvorstellung und der Zahlworte befolgt, so lassen sich die einzelnen Momente desselben geradezu per antiphrasin aus der exakten Methodik der Zahlbildung ableiten, die in der reinen Mathematik in Geltung ist. Es zeigt sich hierin mit besonderer Schärfe, wie der logisch-mathematische Begriff der Zahl, ehe er zu dem wird, was er ist, sich erst aus seinem


  1. [1] Vgl. Codrington, Melanesian languages, S. 111 f., Ray, Torres-Exped. III, S. 428 u. ö.
  2. [2] Näheres bei Matthews, Aboriginal languages of Victoria (J. and Proceed. of the R. Soc. of N. S. Wales XXXVI, 72) und Languages of some native tribes of Queensland etc., ibid. S. 155 f., 162. Eine Mehrheit der Pluralformen des Personalpronomens findet sich auch in den Munda-Sprachen und im Nikobar (vgl. P. W. Schmidt, Die Mon-Khmer-Völker, S. 50 f.). Für die amerikanischen Eingeborenensprachen s. die verschiedenen Beispiele des Gebrauchs des „Inklusivs“ und „Exklusivs“ in Boas’ Handbook, S. 573 f., 761 f., 815 u. ö., sowie v. d. Steinen, Bakairi-Sprache, S. 349 f.
  3. [3] S. Humboldt, Kawi-Werk II, 39.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/221&oldid=- (Version vom 21.11.2022)