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unser Geist übt, wenn er zählt[1].“ Aber das halb poetische, halb theologische Pathos dieser Scheltrede vergißt, daß es, statt das primitive Verfahren an unserem vollentwickelten Zahlbegriff zu messen, auch hier richtiger und fruchtbarer ist, den wie immer geringen intellektuellen Gehalt, den es trotz allem in sich birgt, aufzusuchen und anzuerkennen. Von irgendeiner Systematik der Zahlbegriffe, von ihrer Einreihung in einen allgemeinen Zusammenhang kann hier freilich noch nicht die Rede sein. Aber das Eine ist erreicht, daß im Durchlaufen einer Mannigfaltigkeit, wenngleich dieselbe ihrem Inhalt nach rein sinnlich bestimmt ist, eine ganz bestimmte Ordnung, eine Reihenfolge des Übergangs vom einen zum anderen Glied innegehalten wird. Nicht willkürlich wird im Akt des Zählens von einem Teil des Körpers zum anderen fortgegangen, sondern die rechte Hand folgt der linken, der Fuß folgt der Hand, der Nacken, die Brust, die Schulter folgt den Händen und Füßen nach einem zwar konventionell gewählten, aber gemäß dieser Wahl festgehaltenen Schema der Succession. Die Aufstellung eines solchen Schemas, so weit sie davon entfernt ist, den Gehalt dessen, was das entwickelte Denken unter „Zahl“ versteht, zu erschöpfen, bildet nichtsdestoweniger für ihn die unentbehrliche Vorbedingung. Denn auch die reine mathematische Zahl löst sich zuletzt in den Begriff eines Stellensystems, in den Begriff einer „Ordnung in der Folge“ – order in progression, wie William Hamilton es genannt hat – auf. Nun scheint freilich der entscheidende Mangel des primitiven Zählverfahrens darin zu liegen, daß es diese Ordnung nicht frei nach einem geistigen Prinzip erzeugt, sondern, daß es sie lediglich den gegebenen Dingen, insbesondere der gegebenen Gliederung des eigenen Leibes des Zählenden, entnimmt. Aber selbst in der unleugbaren Passivität dieses Verhaltens regt sich noch eine eigentümliche Spontaneität, die hier freilich nur erst im Keime sichtbar wird. Der Geist beginnt, indem er die sinnlichen Objekte nicht lediglich nach dem, was sie einzeln und unmittelbar sind, sondern nach der Art, wie sie sich ordnen, erfaßt, von der Bestimmtheit der Gegenstände zur Bestimmtheit der Akte fortzuschreiten: – und an diesen letzteren, an den Akten der Verknüpfung und Sonderung, die er in sich selbst ausübt, wird ihm zuletzt das eigentliche und neue, das „intellektuelle“ Prinzip der Zahlbildung aufgehen.

Zunächst indes bleibt die Fähigkeit, beim Übergang von einem Objekt zum anderen die Ordnung in der Folge des Übergangs festzuhalten, nur ein vereinzeltes Moment, das sich mit den anderen zur Bildung des


  1. [1] Steinthal, Mande-Negersprachen, S. 75 f.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/202&oldid=- (Version vom 28.10.2022)