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I

Der erste Anfangspunkt der philosophischen Spekulation wird durch den Begriff des Seins bezeichnet. In dem Augenblick, da dieser Begriff sich als solcher konstituiert, da gegenüber der Vielfältigkeit und Verschiedenheit des Seienden das Bewußtsein von der Einheit des Seins erwacht, entsteht erst die spezifisch-philosophische Richtung der Weltbetrachtung. Aber noch auf lange Zeit bleibt diese Betrachtung in dem Umkreis des Seienden, den sie zu verlassen und zu überwinden strebt, gebunden. Der Anfang und Ursprung, der letzte „Grund“ alles Seins soll ausgesprochen werden: aber so klar diese Frage gestellt wird, so wenig reicht die Antwort, die für sie gefunden wird, in ihrer besonderen konkreten Bestimmtheit an diese höchste und allgemeinste Fassung des Problems heran. Was als das Wesen, als die Substanz der Welt bezeichnet wird, das greift nicht prinzipiell über sie hinaus, sondern ist nur ein Auszug aus eben dieser Welt selbst. Ein einzelnes, besonderes und beschränktes Seiende wird herausgegriffen, um aus ihm alles andere genetisch abzuleiten und zu „erklären“. Diese Erklärung verharrt demnach, so wechselvoll sie sich inhaltlich auch gestalten mag, ihrer allgemeinen Form nach, doch stets innerhalb derselben methodischen Grenzen. Anfangs ist es ein selbst noch sinnliches Einzeldasein, ein konkreter „Urstoff“, der als letzter Grund für die Gesamtheit der Erscheinungen aufgestellt wird; dann wendet sich die Erklärung ins Ideelle und an Stelle dieses Stoffes tritt bestimmter ein rein gedankliches „Prinzip“ der Ableitung und Begründung heraus. Aber auch dieses steht, näher betrachtet, noch in einer schwebenden Mitte zwischen dem „Physischen“ und „Geistigen“. So sehr es die Farbe des Ideellen trägt, so ist es doch auf der anderen Seite der Welt des Existierenden aufs engste verhaftet. In diesem Sinne bleibt die Zahl der Pythagoreer, bleibt das Atom Demokrits, so groß der Abstand ist, der beide von dem Urstoff der Ionier trennt, ein methodisches Zwitterwesen, das in sich selbst seine eigentliche Natur noch nicht gefunden und sich gleichsam über seine wahre geistige Heimat noch nicht entschieden hat. Diese innere Unsicherheit wird endgültig erst in der Ideenlehre Platons überwunden.

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/19&oldid=- (Version vom 4.8.2020)