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zwei Sphären: in einen hellen, vom Lichte der „Gegenwart“ getroffenen und erleuchteten, und in einen anderen dunklen Kreis; aber zwischen diesen beiden Grundstufen fehlt es noch an jeder Vermittlung und an jedem Übergang, an jeder Nuancierung und Abtönung.

Das voll entwickelte Bewußtsein, insbesondere das Bewußtsein der wissenschaftlichen Erkenntnis, ist dadurch ausgezeichnet, daß es nicht in diesem einfachen Gegensatz des „Jetzt“ und „Nicht-Jetzt“ verharrt, sondern ihn zu reichster logischer Entfaltung bringt. Ihm ergeben sich eine Fülle von Zeitstufen, die jedoch sämtlich durch eine einheitliche Ordnung umfaßt sind, in der jedem Moment seine ganz bestimmte Stelle zukommt. Die erkenntniskritische Analyse zeigt, daß diese Ordnung weder durch die Empfindung „gegeben“ ist, noch aus der unmittelbaren Anschauung geschöpft werden kann. Sie ist vielmehr erst ein Werk des Verstandes – und insbesondere ein Werk des kausalen Folgerns und Schließens. Die Kategorie der Ursache und Wirkung ist es, die die bloße Anschauung des Nacheinander zum Gedanken einer einheitlichen Zeitordnung des Geschehens umprägt. Der einfache Unterschied der einzelnen Zeitstellen muß erst in den Begriff einer wechselseitigen dynamischen Abhängigkeit zwischen ihnen umgebildet, die Zeit als reine Anschauungsform muß mit der Funktion des kausalen Urteilens durchsetzt werden, bevor dieser Gedanke sich entwickeln und sich befestigen kann, bevor das unmittelbare Zeitgefühl in den systematischen Begriff der Zeit, als einer Bedingung und als eines Inhalts der Erkenntnis übergeht. Wie weit der Weg von dem einen zum andern ist und durch welche Schwierigkeiten und Paradoxien er hindurchführt, hat uns die Entwicklung der modernen Physik aufs klarste vor Augen gestellt. Kant sieht in den „Analogien der Erfahrung“, in den drei synthetischen Grundsätzen der Substantialität, der Kausalität und der Wechselwirkung die intellektuelle Bedingung und Grundlage für die Setzung der drei verschiedenen möglichen Zeitverhältnisse, für die Konstituierung der Beharrlichkeit, der Folge und des Zugleichseins. Der Fortgang der Physik zur allgemeinen Relativitätstheorie und die Umbildung, die der Zeitbegriff in dieser letzteren erfahren hat, hat gezeigt, daß dieses relativ einfache Schema, das der Grundform der Newtonischen Mechanik nachgebildet ist, auch erkenntniskritisch durch komplexere Bestimmungen ersetzt werden muß[1]. Ganz allgemein lassen sich im Fortschritt vom Zeitgefühl zum Zeitbegriff drei verschiedene Etappen unterscheiden, die auch für die Spiegelung, die das Zeitbewußtsein in der Sprache findet, von entscheidender Bedeutung sind. Auf der


  1. [1] Näheres s. in meiner Schrift „Zur Einstein’schen Relativitätstheorie“, Berlin 1921.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/186&oldid=- (Version vom 11.10.2022)