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die substantielle Einheit des Raumes zur dynamisch-funktionalen Einheit umgestalten, muß der Raum selbst gleichsam als das Ganze der Aktionsrichtungen, der Richt- und Kraftlinien der Bewegung aufgebaut werden. Hier geht somit in den Aufbau der Vorstellungswelt, den wir bisher wesentlich nach der objektiven Seite hin verfolgt haben, ein neuer Faktor ein. Es bewährt sich nun in diesem Einzelgebiet der Sprachbildung das allgemeine Gesetz jeder geistigen Form, wonach ihr Gehalt und ihre Leistung nicht in der einfachen Abbildung eines gegenständlich Vorhandenen, sondern in der Schaffung einer neuen Beziehung, einer eigentümlichen Korrelation zwischen „Ich“ und „Wirklichkeit“, zwischen der „subjektiven“ und der „objektiven“ Sphäre besteht. Auch in der Sprache wird kraft dieser Wechselbeziehung der „Weg nach außen“ zugleich zum „Weg nach innen“. An der wachsenden Bestimmtheit, die in ihr die äußere Anschauung gewinnt, gelangt auch die innere erst zur wahrhaften Entfaltung: gerade die Gestaltung der Raumworte wird für die Sprache zum Medium für die Bezeichnung des Ich und für seine Abgrenzung gegen andere Subjekte.

Schon die älteste Schicht der Raumbezeichnungen läßt diesen Zusammenhang deutlich erkennen. In fast allen Sprachen sind es die Raumdemonstrativa gewesen, die den Ausgangspunkt für die Bezeichnung der persönlichen Fürwörter gebildet haben. Die Verknüpfung beider Wortklassen ist rein sprachgeschichtlich so eng, daß es schwer ist, zu entscheiden, welche von ihnen wir als die frühere oder spätere, welche wir als die fundamentale und welche als die abgeleitete anzusehen haben. Während Humboldt in seiner grundlegenden Abhandlung „über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen“ den Nachweis zu führen gesucht hat, daß die Bezeichnung der persönlichen Pronomina allgemein auf Worte örtlichen Sinns und Ursprungs zurückgehe, neigt die moderne Sprachforschung vielfach dazu, das Verhältnis umzukehren, indem sie die charakteristische Dreiteilung der Demonstrativa, die sich in den meisten Sprachen findet, auf die ursprüngliche und natürliche Dreiteilung der Personen, des „Ich“, des „Du“ und des „Er“ zurückführt. Wie immer aber diese genetische Frage zuletzt entschieden werden mag: in jedem Falle zeigt sich, daß die persönlichen und die demonstrativen Fürworte, die ursprünglichen Personen- und die ursprünglichen Raumbezeichnungen, ihrer gesamten Struktur nach aufs nächste verwandt sind, und daß sie gleichsam derselben Schicht des sprachlichen Denkens angehören. Es ist derselbe halb-mimische, halb-sprachliche Akt des Hinweisens, es sind dieselben Grundformen

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/180&oldid=- (Version vom 9.10.2022)