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sie an sich völlig ungleichartig sind, übereinkommen müssen – und er findet diese Vermittlung in dem „transzendentalen Schema“, das einerseits intellektuell, andererseits sinnlich ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich nach ihm das Schema vom bloßen Bild: „das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen und an sich demselben nicht völlig kongruieren[1].“ Ein solches „Schema“, auf das sie alle intellektuellen Vorstellungen beziehen muß, um sie dadurch sinnlich faßbar und darstellbar zu machen, besitzt die Sprache in ihren Benennungen für räumliche Inhalte und Verhältnisse. Es ist, als würden alle gedanklichen und ideellen Beziehungen dem Sprachbewußtsein erst dadurch faßbar, daß sie sie auf den Raum projiziert und in ihm analogisch „abbildet“. An den Verhältnissen des Beisammen, des Neben- und Auseinander gewinnt es erst das Mittel zur Darstellung der verschiedenartigsten qualitativen Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Gegensätze.

Schon an der Bildung der ursprünglichsten Raumwörter, die die Sprache kennt, läßt sich dies Verhältnis erkennen und beleuchten. Sie wurzeln noch ganz in der Sphäre des unmittelbar-sinnlichen Eindrucks; aber sie enthalten auf der anderen Seite den ersten Keim, aus dem die reinen Beziehungsausdrücke hervorwachsen. So sind sie ebensowohl dem „Sinnlichen“ wie dem „Intellektuellen“ zugekehrt: denn wenn sie in ihrem Anfang noch ganz stofflich sind, so schließt sich in ihnen andererseits die eigentümliche Formwelt der Sprache erst eigentlich auf. Was das erste Moment betrifft, so tritt es schon in der lautlichen Gestaltung der Raumworte zutage. Abgesehen von den bloßen Interjektionen, die aber noch nichts „besagen“, die noch keinen objektiven Bedeutungsinhalt in sich schließen, gibt es kaum irgendeine Klasse von Worten, denen der Charakter von „Naturlauten“ so stark aufgeprägt wäre, als den Worten zur Bezeichnung des Hier und Dort, des Fernen und Nahen. Die deiktischen Partikeln, die zur Bezeichnung dieser Unterschiede dienen, lassen sich in der Gestaltung, die sie in den meisten Sprachen erfahren, noch fast durchweg als Nachwirkungen direkter „Lautmetaphern“ erkennen. Wie der Laut in den verschiedenen Arten des Zeigens und Hinweisens selbst nur als Verstärkung der Gebärde dient, so tritt er auch


  1. [1] Krit. d. r. Vern., 2. Aufl., S. 177 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/165&oldid=- (Version vom 7.10.2022)