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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

selber an drei Stellen sich aufhalte, in unserem Munde, in unserem Herzen und in unsern Händen (5 Mos. 30,11-14), d. h. nach symbolischer Ausdrucksweise in unsern Reden, in unsern Entschlüssen und in unsern Handlungen; der Mund ist nämlich Sinnbild der Rede, das Herz Sinnbild der Entschlüsse, die Hände Sinnbild der Handlungen, und in diesen drei Dingen ruht unser Glück[1]. 184 Denn wenn Wort und Gedanke und Entschluss und Handlung vollständig übereinstimmen, dann ist das Leben rühmenswert und vollkommen, wenn sie aber in Zwiespalt miteinander sind, dann ist das Leben unvollkommen und tadelnswert. Wer diese Harmonie nicht vergisst, der wird Gott wohlgefällig sein und zugleich von Gott geliebt werden und Gott lieben. Vortrefflich ist daher und ganz im Einklang mit dem Gesagten [p. 407 M.] jener Ausspruch (der h. Schrift): „Gott hast du dir heute erwählt, dass er dir Gott sei, und der Herr hat dich heute erwählt, dass du ihm ein Volk seiest" (5 Mos. 26,17.18)[2]. 185 Fürwahr eine schöne Gegengabe für die Wahl, wenn der Mensch zur Verehrung des Seienden hineilt und Gott den Betenden unverzüglich sich zu eigen macht und dem Willen des aufrichtig und wahr zu seinem Dienste sich Nahenden entgegenkommt. Der wahre Diener und Beter aber, auch wenn es der Zahl nach nur einer ist, bedeutet, wie an anderer Stelle bemerkt ist[3], ebensoviel wie das ganze Volk und ist einem ganzen Volke gleichwertig. 186 So verhält es sich wirklich: wie nämlich auf einem Schiffe der Steuermann ebensoviel gilt wie alle Schiffer und in einem Feldlager der Feldherr ebensoviel wie alle Mannschaften — denn wenn er fällt, ist


  1. Dieselbe Deutung dieser Bibelstelle wiederholt Philo an mehreren Stellen: de poster. Caini § 85, de mut. nom. § 237, de somn. II § 180, quod omnis prob. lib. sit II p. 456 M. „Und in deinen Händen“ ist Zusatz der LXX.
  2. Philo gibt האמרת‎ und האמירך‎ in Uebereinstimmung mit der Septuaginta durch εἵλου und εἵλατο wieder nach dem Zeugnis der besten Handschrift, das durch Clemens Alexandrinus bestätigt wird. Die beiden andern Handschriften haben dafür ἀντηλλάξω und ἀντηλλάξατο, wie Aquila übersetzt hatte. Beide Uebersetzungen lassen darauf schliessen, dass im Originaltext vielmehr המרת‎ und המירך‎ gestanden hat; vgl. E. Nestle, Zeitschr. f. alttestam. Wissensch. 28 S. 149.
  3. Das ist wohl der Sinn der verderbt überlieferten Worte καθάπερ αὐτὸς αἱρεῖται. Vgl. Ueber den Dekalog § 37.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/054&oldid=- (Version vom 1.8.2018)