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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

Augenlicht wiedererlangt haben und nach tiefster Finsternis wieder strahlendes Licht erblicken.

180 (2.) Dies ist der erste und wesentlichste Punkt in der Erörterung über die Reue. Es soll aber einer seinen Sinn nicht nur ändern inbetreff der irrigen Meinung, in der er sich so lange befunden, da er die geschaffenen Dinge höher stellte als den ewigen Schöpfer, sondern auch in allen anderen Dingen, die für das Leben unentbehrlich sind: er soll gleichsam aus der schlechtesten der schlechten Verfassungen, aus der Ochlokratie, in das aufs beste eingerichtete Staatswesen, in die Demokratie, übertreten, d. h. er soll sich von der Unwissenheit wegwenden zur Kenntnis der Dinge, die nicht zu wissen eine Schande ist, vom Unverstand zur Einsicht, von der Zügellosigkeit zur Enthaltsamkeit, von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit, von der Feigheit zur Tapferkeit. 181 Ist es doch eine schöne und heilsame Tat, die tückische Herrschaft des Lasters abzuschütteln und sich unumwunden der Tugend zuzuwenden; auch müssen, wie in der Sonne der Schatten dem Körper folgt, mit der Verehrung des seienden Gottes die anderen Tugenden aufs engste verbunden sein. 182 Die Proselyten werden ja sogleich besonnen, enthaltsam, bescheiden, sanft, brav, menschenfreundlich, ernst, gerecht, hochherzig, wahrheitsliebend, erhaben über Schätze und Vergnügungen; und umgekehrt kann man wahrnehmen, wie die von unsern heiligen Gesetzen Abgefallenen zügellos, schamlos, ungerecht, leichtfertig, niedriggesinnt, streitsüchtig, Lügner und Meineidige werden, die ihre Freiheit für eine Speise, für Wein, für Leckerbissen, für eine schöne Gestalt verkaufen würden, um leibliche und wollüstige Genüsse zu erhalten, die am Ende die schwersten Schädigungen des Körpers und der Seele herbeiführen. 183 Sehr schöne Lehren erteilt er uns auch über die Reue, aus denen wir lernen sollen unser unharmonisch gestaltetes Leben in ein besseres umzuwandeln. Er sagt nämlich, dass die Erfüllung dieser Aufgabe gar nicht übermässig schwer sei, auch nicht in weiter Entfernung, weder hoch oben im Aether und an den äussersten Enden <der Erde noch jenseits> des grossen Meeres zu suchen, sodass wir sie nicht zu erreichen vermöchten, dass sie vielmehr ganz nahe sei, da sie in uns

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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/053&oldid=- (Version vom 1.8.2018)