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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

wenn es sich um die Seele handelt, ein Gedächtnis, das nie vergisst, was im Gedächtnis behalten zu werden verdient. Güter zweiten Ranges sind solche, die in einer Wiederherstellung bestehen: die Genesung von Krankheiten, die glückliche Errettung aus den Gefahren einer Seefahrt, die aus dem Vergessen hervorgehende Wiedererinnerung. Sehr nahe verwandt mit dieser ist die Sinnesänderung, die nicht zu der ersten und obersten Klasse der Güter gehört, sondern zu der nach ihr kommenden, die die zweite Stelle einnimmt. 177 Denn überhaupt nicht zu sündigen kommt nur Gott zu, vielleicht auch einem gottbegnadeten Manne, die Umkehr aber vom Sündigen zu einem sündenfreien Leben ist die Aufgabe eines verständigen Mannes, der sein wahres Heil nicht für immer verkennt. 178 Deshalb sammelt er solche um sich, weiht sie ein, beruft sie und legt ihnen seine versöhnlichen und liebevollen Lehren vor, die die Mahnung enthalten, Wahrhaftigkeit zu üben und Dünkel zu verabscheuen, nach Wahrheit und Bescheidenheit zu streben, diesen unentbehrlichsten Tugenden, die zum Glücke führen, und sich aufzulehnen gegen Mythen und Fabeln, wie sie Eltern, Ammen, Erzieher und viele andere aus dem Bekanntenkreise den noch ganz zarten Gemütern von frühester Jugend an beigebracht und damit nur endlose Irrungen in der Erkenntnis des Besten bei ihnen hervorgerufen haben. 179 Was ist aber das Beste in der Welt, wenn nicht Gott? Die ihm zukommenden Ehren erweisen sie den Ungöttern, diese verherrlichen sie über alle Massen, Gott aber vergessen sie ganz und gar, die Sinnlosen. Alle nun, die dem Schöpfer und Vater des Alls Verehrung zu zollen entschlossen sind, wenn sie auch nicht von Anfang an, sondern erst später die Alleinherrschaft statt der Vielherrschaft anerkannt haben, muss man als gute Freunde und Verwandte ansehen, da sie das bieten, was zur Freundschaft und zu verwandtschaftlichem Gefühl am meisten beiträgt, ein frommes Herz[1]; man muss ihnen auch Glück [p. 406 M.]wünschen wie Menschen, die früher blind waren und ihr


  1. Philo spricht hier von den Proselyten, die zu seiner Zeit durch die eifrige Propaganda in der Diaspora in grosser Zahl für das Judentum gewonnen wurden.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/052&oldid=- (Version vom 1.8.2018)