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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

Hochmütige von einem sinnlosen Wahn erfüllt ist und sich — um mit Pindar zu reden — „nicht für einen Menschen und nicht für einen Halbgott, sondern für einen ganzen Gott“ hält und die Grenzen der menschlichen Natur überschreiten zu können glaubt[1]. 173 Und wie die Seele, so ist bei ihm auch der Körper tadelnswert in seiner ganzen Haltung und in allen seinen Bewegungen: er stolziert auf den Fussspitzen einher, richtet seinen Nacken stolz in die Höhe, hebt sich über sein natürliches Mass hinaus, bläht sich auf, blickt beim Sehen mit seitwärts gerichteten Augen daneben und hört mit halbem Ohr; er behandelt die Sklaven wie das Vieh, die Freien wie Sklaven, die Verwandten wie Fremde, die Freunde wie Schmarotzer, die Bürger wie Fremdlinge; 174 er glaubt unter allen Menschen der Reichste, der Geachtetste, der Schönste, der Stärkste, der Klügste, der Besonnenste, der Gerechteste, der Beredteste, der Kenntnisreichste zu sein; und ebenso hält er die anderen für arm, [p. 405 M.] unbedeutend, verachtet, unverständig, ungerecht, ungebildet, für Scheusale, für nichts[2]. Mit Recht wird daher ein solcher, wie der Prophet sagt, Gott zum Widersacher und strafenden Richter haben.


Ueber die Reue.

175 (1.) Als Freund der Tugend, als Freund des Guten und Schönen und ganz besonders als Menschenfreund ermahnt der fromme Moses alle Menschen überall Frömmigkeit und Gerechtigkeit eifrig zu üben, indem er den Reuigen wie Siegern grosse Belohnungen verheisst, den Anteil an dem besten Staatswesen und den Genuss aller damit verbundenen grossen wie kleinen Vorteile. 176 (Es gibt nämlich Güter ersten Ranges und Güter zweiten Ranges:) Güter ersten Ranges sind, wenn es sich um den Körper handelt, vollkommene Gesundheit, wenn es sich um Schiffe handelt, eine ohne Gefahr vollendete gute Seefahrt,


  1. Die Worte enthalten eine offenbare Anspielung auf den Kaiser C. Caligula: vgl. Leg. ad Gaium II p. 556 M. „… er wollte nicht mehr in den Grenzen menschlicher Natur bleiben, sondern überschritt diese und wollte für einen Gott gehalten werden“.
  2. Auch diese Charakteristik passt ganz und gar auf Caligula.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/051&oldid=- (Version vom 12.11.2017)