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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

(5 Mos. 23,16.17). Denn einen Schutzflehenden darf man nicht ausliefern[1], ein Schutzflehender ist aber auch der Sklave, der sich an deinen Herd flüchtet, wie in ein Heiligtum, und er muss dort gerechterweise Sicherheit finden, indem er, wenn möglich, aufrichtige und straflose Verzeihung (von seinem Herrn) erlangt oder schlimmstenfalls weiter verkauft wird[2]; denn wie das Wechseln des Herrn ausfallen wird, ist ungewiss, das ungewisse Uebel ist aber immerhin leichter als das gewisse.

125 (17.) Dies sind die gesetzlichen Bestimmungen über Einheimische und Fremde, über Freunde und Feinde, über Sklaven und Freie und Menschen überhaupt. Der Gesetzgeber will aber die milde und freundliche Behandlung auch auf die vernunftlosen Wesen ausgedehnt wissen und gewährt auch diesen die Möglichkeit, wie aus freundlicher[3] Quelle Gutes zu schöpfen. 126 Er gebietet nämlich betreffs der Herden zahmen Viehes, der Schaf-, Ziegen- und Rinderherden, sich des sofortigen Genusses der neugeborenen Tiere zu enthalten und sie weder unmittelbar zur Nahrung noch angeblich zu den Opfern zu nehmen (2 Mos. 22,29. 3 Mos. 22,27)[4]. Denn er meinte, es verrate eine rohe Seele, auf die Gebärenden aufzupassen, um sofort die Jungen von der Mutter zu trennen zu dem Zwecke, sich einen leiblichen Genuss zu verschaffen,


  1. Vgl. den Ausspruch des Xenokrates bei Diog. La. IV 10 τὸν ἱκέτην δεῖν μὴ ἐκδιδόναι. Nach griechischer Sitte war ein wegen Blutschuld Verfolgter, der in ein Haus tritt und als Schutzflehender sich am Hausherde niederlässt, unverletzlich.
  2. Nach attischem Recht durfte ein Sklave, der von seinem Herrn zu grausam behandelt wurde, zu einem Heiligtume, das Asylrecht hatte, seine Zuflucht nehmen und dort verlangen, an einen andern Herrn verkauft zu werden; vgl. Lipsius, der attische Prozess S. 625.
  3. Für εὐμενοῦς ist vielleicht ἀενάου (stets fliessend) zu lesen und für τινος χρηστοῦ mit einer Hs. (G) τι χρηστόν.
  4. Philo bezieht die biblische Vorschrift, das Junge sieben Tage lang bei der Mutter zu lassen, auch auf die Schlachtung zu eigenem Gebrauch. Nach dem Wortlaut bezieht sie sich nur auf die Darbringung als Opfer (so versteht sie auch Josephus Alt. III § 236). Die Rabbinen waren geteilter Meinung: in Babylonien galt die Ansicht, dass Tiere auch zum Privatgebrauche vor dem achten Tage nicht geschlachtet werden dürfen; vgl Ritter, Philo und die Halacha S. 108.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/038&oldid=- (Version vom 31.10.2017)