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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

und ihnen aufzuhelfen (2 Mos. 23,5). Damit will er uns die Lehre geben, dass wir uns über das Unglück unserer Hasser nicht freuen sollen; denn die Schadenfreude ist, wie er wohl wusste, eine Empfindung unversöhnlichen Grolles, verwandt und zugleich entgegengesetzt dem Neid: verwandt, insofern beides aus einem leidenschaftlichen Gefühl hervorgeht und beide Empfindungen sich auf dieselben Personen beziehen und beinahe aufeinander folgen können, entgegengesetzt aber, weil der Neid Trauer über das Glück des Nachbarn, die Schadenfreude dagegen Vergnügen über das Unglück des Nächsten hervorbringt. 117 Wenn du aber, so heisst es weiter, den Esel eines Feindes herumirren siehst, so überlass solchen Zündstoff [395 M.] zu weiterer Feindschaft Menschen von schlimmerem Charakter und führe den Esel (zu seinem Besitzer) zurück (2 Mos. 23,4)[1]. Denn damit wirst du mehr noch als deinem Feinde dir selbst nützen, denn er gewinnt nur ein vernunftloses Tier, das vielleicht gar keinen Wert hat, du aber gewinnst das Grösste und Wertvollste von allem auf Erden, eine edle Tat. 118 Ganz notwendig folgt aber, wie der Schatten dem Körper, auf eine solche Tat die Lösung der Feindschaft; denn einerseits wird der Empfänger einer solchen Wohltat selbst wider seinen Willen durch den Liebesdienst gefesselt und zur Versöhnlichkeit getrieben, andrerseits hat einer, der von edler Handlungsweise geleitet einen solchen Dienst erweist, damit schon beinahe sein Herz zur Versöhnung gewandt. 119 Das ist es aber hauptsächlich, was der fromme Prophet durch seine ganze Gesetzgebung erreichen will: Eintracht, Gemeinschaftsgefühl, Gleichheit der Gesinnung und Harmonie der Charaktere, Eigenschaften, durch die Familien und Städte, Völker und Länder und überhaupt das ganze Menschengeschlecht zur höchsten Glückseligkeit gelangen können. 120 Allerdings sind das bis zum gegenwärtigen Augenblick bloss fromme Wünsche, sie werden


  1. Dieses Gebot hat Philo schon oben § 96 angeführt, aber nach 5 Mos. 22,1–3 mit Urgierung des Ausdrucks „deines Bruders“ während er hier im Anschluss an 2 Mos. 23,4 vom Esel „des Feindes“ spricht. Josephus Alt. IV § 274 sieht von dieser Unterscheidung ganz ab, ebenso § 275 bei Anführung der von Philo vorher (§ 116) besprochenen Vorschrift.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/036&oldid=- (Version vom 31.10.2017)