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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

beide Aemter gut verwalten könnten, das Priesteramt und das Herrscheramt, von welchen das eine zum Dienste Gottes berufen ist, das andere für die Menschen Sorge tragen soll. Vielleicht hielt er sich auch nicht für den geeigneten Richter in einer so wichtigen Angelegenheit; denn den zur Herrschaft wohl befähigten Mann prüfend auszuwählen ist eine sehr grosse Sache und erfordert beinahe göttliche Kraft, der allein es ein Leichtes ist den Charakter eines Menschen zu durchschauen. 55 (2.) Der klarste Beweis für das Gesagte ergibt sich aus folgendem. Einen Freund hatte er, der schon seit frühester Jugend sein vertrauter Schüler war, mit Namen Jesus (Josua). Dessen Freundschaft hatte ihm keine der sonst bei anderen vorkommenden Veranlassungen verschafft, sondern die himmlische, reine, wirklich göttliche Liebe, aus der jede Tugend erwächst. Dieser war sein Zeltgenosse und war immer mit ihm zusammen, ausser wenn Moses göttliche Offenbarungen erhielt und verkündete und Alleinsein ihm dann anbefohlen war. Er versah bei ihm auch die verschiedenen Dienstleistungen, besonders dem Volke gegenüber, er war gewissermassen Unterbefehlshaber und stand ihm in der Verwaltung zur Seite. 56 Wiewohl Moses aber seit längerer Zeit gründliche Beweise seiner Tüchtigkeit in Wort und Tat und – was am unentbehrlichsten war – seiner Zuneigung zum Volke erhalten hatte, glaubte er doch auch ihn nicht als Nachfolger zurücklassen zu dürfen, weil er fürchtete eine falsche Meinung über ihn zu haben und ihn für tüchtig zu halten, der es in Wahrheit nicht sei; denn die Urteile des menschlichen Verstandes sind ja ihrer Natur nach unklar und unsicher. 57 Da er also zu sich selbst kein Vertrauen hatte, wendet er sich an den (wahren) Beurteiler der unsichtbaren Seele, an Gott, der allein genau ins Herz zu schauen vermag, [385 M.] und fleht ihn an, aus der Reihe der Besten den zur Führerschaft geeignetsten Mann auszuwählen, der wie ein Vater für die Untergebenen sorgen würde; die reinen und, wie man figürlich sagen könnte, jungfräulichen Hände zum Himmel ausgestreckt betet er: 58 „Ersehe doch Gott der Herr der Geister und[1]


  1. Die Septuaginta übersetzt אלהי הרוחת לכל בשר‎ durch ὁ θεὸς τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός als ob וכל‎ dastände.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/021&oldid=- (Version vom 31.10.2017)