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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

Leben geniesst und den Ernst und die Not des Lebens nicht im geringsten erfährt, weil jedes Plätzchen seiner Seele von [p. 414 M.] Freude beherrscht ist.

36 (6.) Nach dem durch Selbstbelehrung und Benutzung seiner reichen Naturanlage (weise Gewordenen) gelangt als dritter der geübte Kämpfer (Jakob) zur Vollkommenheit und erhält als besonderen Ehrenpreis das Schauen Gottes. Denn nachdem er mit allem, was im menschlichen Leben vorkommt, in Berührung getreten war, nachdem er mit allem sich eingehend befasst und keine Mühe oder Gefahr gescheut hatte, wenn er damit irgendwie der köstlichen Wahrheit auf die Spur kommen konnte, fand er bei dem vergänglichen Geschlecht tiefes Dunkel zu Lande und zu Wasser, in der Luft und im Aether; denn selbst der Aether und der ganze Himmel gewährte ihm die Vorstellung nächtlicher Finsternis: die mit den Sinnen wahrnehmbare Natur ist ja ganz unbegrenzt, das Unbegrenzte ist aber der Finsternis sehr nahe verwandt. 37 Er hatte also früher das Auge der Seele verschlossen gehalten; nun aber begann er es bei seinen anhaltenden Kämpfen allmählich zu öffnen und den verhüllenden Nebel zu zerteilen und zu entfernen; denn plötzlich strahlt ihm der reinere, unkörperliche Glanz des Aethers entgegen und zeigt ihm die rein geistige Welt, wie sie gelenkt wird. 38 Auch der von reinstem Lichte rings umstrahlte Lenker war schwer zu sehen und schwer zu begreifen, weil das Auge durch die Strahlen geblendet wird, und das Auge hatte, wiewohl es von starker Glut getroffen wurde, dem sonderbaren Verlangen zu schauen widerstanden. 39 Der Vater und Retter sah aber das aufrichtige, sehnsüchtige Verlangen und hatte Erbarmen: er gab Kraft der Treffsicherheit des Auges und entzog ihm nicht seinen Anblick, soweit ihn ein geschaffenes und sterbliches Wesen zu fassen imstande ist, den Anblick, der ihm zeigt, nicht was (die Gottheit) ist, sondern dass sie ist. 40 Denn jenes Wesen, das besser ist als das Gute, ehrwürdiger als die Einheit und reiner als die Eins, kann unmöglich von einem andern geschaut werden, weil es nur von sich allein (vollkommen) begriffen werden darf. (7.) Dass es aber ist, den allein fassbaren Begriff seiner Existenz, erfassen auch nicht alle oder sie erfassen ihn nicht

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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/014&oldid=- (Version vom 2.10.2017)