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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

überhaupt als Mensch gelten darf, der nicht seine Hoffnung auf Gott setzt.

15 (3.) Nach dem Siege der Hoffnung beginnt ein zweiter Wettkampf, worin die Reue streitet, die an der unwandelbaren, unveränderlichen, immer sich gleich bleibenden Natur keinen Anteil hat, die vielmehr von eifriger Liebe zum Besseren plötzlich ergriffen wird und Eile hat, den angeborenen habsüchtigen und ungerechten Sinn aufzugeben und sich der Besonnenheit, der Gerechtigkeit und den anderen Tugenden zuzuwenden. 16 Auch für sie sind Preise ausgesetzt, und zwar doppelte für zweifaches richtiges Handeln, für die Aufgabe des Hässlichen und für die Annahme des Schönen. Die Preise sind Entfernung vom Hause [p. 411 M.] und Alleinsein; es heisst nämlich von dem, der den schlimmen Neigungen des Leibes entflieht und sich zur Seele flüchtet[1]): „er ward nicht gefunden, weil Gott ihn versetzt hatte“ (1 Mos. 5,24). 17 Mit der „Versetzung“ ist deutlich die Entfernung vom Hause gemeint, mit dem Worte „nicht aufgefunden werden“ das Alleinsein; und beides ist ganz passend; denn wenn ein Mensch wirklich Gelüste und Begierden verachtet und in Wahrheit entschlossen über den Leidenschaften steht, so soll er sich zum Umzug rüsten und ohne jede Rücksicht Haus, Vaterland Verwandte und Freunde fliehen[2]. 18 Denn die Gewohnheit ist ein festes Bindemittel, sodass zu befürchten ist, er könnte, wenn er bliebe, gefangen und festgehalten werden durch so viele ringsum vorhandene Lockungen, deren Glanz das schon eingetretene Schweigen der hässlichen Bestrebungen bei ihm wieder stören und die noch frischen Erinnerungen an Dinge, die zu vergessen sittliche Pflicht ist, wiedererwecken würde. 19 Schon viele wurden durch Aufenthalt in der Fremde zur Vernunft gebracht und von ihrem tollen Liebeswahn geheilt, da das Auge nicht mehr ihrer Leidenschaft Nahrung zu geben vermochte durch Vorführung der Gestalten ihrer Lust; denn bei der räumlichen Entfernung muss sie ins Leere gehen, da der Gegenstand, durch den sie gereizt wird, nicht mehr anwesend


  1. d. i. Henoch, der bei Philo Symbol der Reue ist: vgl. Ueber Abraham § 17 ff.
  2. Mit ganz ähnlichen Worten schildert Philo die weit flüchtige Sekte der Therapeuten de vita contempl. II 474 M.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/009&oldid=- (Version vom 30.9.2017)