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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

zu erforschen, so müssen wir auch darüber das Nötige sagen. Vielleicht werden manche, die unüberlegt urteilen, lachen, wenn sie es hören; ich will aber doch unverhohlen behaupten, dass der Staatsmann überhaupt ein Traumdeuter ist, freilich nicht einer von den Possenreissern und einer von denen, die um Lohn schwatzen und klug reden und die Deutung von Traumerscheinungen zum Vorwand nehmen, um Geld einzuheimsen, sondern ein solcher, der gewohnt ist den allgemeinen grossen Traum nicht nur der Schlafenden, sondern auch der Wachenden sorgfältig zu erforschen[1]. 126|Dieser Traum ist, die Wahrheit zu sagen, das menschliche Leben; denn wie wir bei den Erscheinungen im Schlaf sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht hören, kosten oder tasten und doch nicht kosten oder tasten, sprechen und doch nicht sprechen, umherwandeln und doch nicht umherwandeln und überhaupt jede Bewegung zu machen und jede ruhige Haltung zu haben glauben und in Wirklichkeit keine haben – denn es sind das nur leere <Vorstellungen> der Seele, die, ohne dass etwas wirklich zugrunde liegt, das nicht Existierende als existierend sich ausmalt und gestaltet –, ebenso sind unsere Vorstellungen im wachen Zustande den Träumen ähnlich; sie kommen und gehen, erscheinen und entschwinden, sind verflogen, bevor man sie sicher erfasst hat. 127|Mag ein jeder nur sich selbst prüfen und er wird von sich aus ohne Gründe von meiner Seite den Beweis finden, besonders wenn einer schon in höherem Alter steht. Er war einstmals Kind, dann Knabe, dann Ephebe, dann Jüngling, dann junger Mann, dann Mann, zuletzt Greis. 128|Aber wo sind alle diese (Altersstufen) geblieben? Ist nicht im Knaben das Kind entschwunden, im heranreifenden Knaben der Knabe, im Jüngling der Ephebe, im jungen Mann der Jüngling, im


  1. Philo bringt Josephs Traumdeutungen in Verbindung mit dem philosophischen Gedanken, dass das menschliche Leben ein Traum sei, dessen Deutung dem ἀνὴρ πολιτικός zukomme, als dessen Typus Joseph dargestellt wird. Den ganzen folgenden Abschnitt („das Leben ein Traum“) hat Philo einer auf heraklitischen Anschauungen fussenden skeptischen Quelle (wahrscheinlich Aenesidem) entlehnt, derselben, die auch Plutarch (De Ei ap. Delphos cap. 18) benutzt hat. Vgl. H. v. Arnim, Quellenstudien zu Philo S. 94ff.
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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/031&oldid=- (Version vom 5.9.2017)