Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/022

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

einen ganzen Staat (zur Behandlung) übernommen habe, der an schlimmeren Krankheiten leidet, die die angeborenen Begierden verursachen, was muss ich tun? Das, was allen förderlich sein könnte, preisgeben und diesem oder jenem beliebigen niedrige und sklavische Schmeicheleien ins Ohr sagen? Lieber würde ich den Tod vorziehen als in gefälligen Reden die Wahrheit verbergen und das Heilsame p. 53 M. ausser acht lassen — wie der tragische Dichter sagt[1]:

78 „Mag Feuer kommen dazu, mag kommen auch das Schwert.
Zünd an, verbrenne mein Fleisch und trinke mein dunkles Blut
Und sättige dich; denn eher werden die Sterne hinab
Zur Erde kommen und eher wird zum Aether hinauf
Die Erde steigen, als Schmeichelrede von mir dich trifft“.

79 Einen Staatsmann also, der von so mannhafter Gesinnung und so frei von allen Leidenschaften ist, von Wollust, Furcht, Trauer und Begierde, verträgt der herrschende Pöbel nicht; er ergreift den wohlgesinnten Freund wie einen Feind und züchtigt ihn, bestraft aber nicht sowohl ihn als sich mit der grössten Strafe, der Unbildung, die die Ursache ist, dass er nicht gelernt hat sich befehlen zu lassen, die schönste und nützlichste Eigenschaft im Leben, durch die man erst die Fähigkeit erlangt zu befehlen.

80 (15.) Nachdem wir dies zur Genüge erörtert haben, wollen wir sehen, was weiter folgt. Nachdem der Jüngling von dem verliebten Weibe so bei dem Herrn verleumdet war, da sie Beschuldigungen erdichtete und gegen ihn erhob wegen eines Vergehens, dessen sie sich selbst schuldig gemacht hatte, wurde er, ohne die Möglichkeit einer Rechtfertigung erlangt zu haben, ins Gefängnis abgeführt. In dem Gefängnis aber zeigte er so hohe Tugenden, dass auch die schlimmsten Gefangenen von Bewunderung ergriffen wurden und in ihm einen Schutz und Trost in ihrem Unglück gefunden




  1. Verse des Euripides, Vers 1 aus den Phönissen (521), V. 2-5 aus einem verlorenen Satyrdrama (Fragm. 687).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/022&oldid=- (Version vom 4.9.2017)