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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

54 (11.) Drei Kennzeichen des Staatsmannes hat Moses nun bereits geschildert, (indem er ihn nach einander) als Hirten, als Hausverwalter und als enthaltsamen Jüngling (verführt). Ueber die beiden ersten Eigenschaften ist bereits gesprochen; die Enthaltsamkeit steht aber ebenso in Beziehung zur Staatsverwaltung. 55|Nützlich und heilsam ist die Enthaltsamkeit zwar für alle Lebensverhältnisse, ganz besonders aber für das Staatsleben, wie die, die lernen wollen, zur Genüge und leicht begreifen können. 56|Denn wer kennt nicht die Leiden, die aus der Zügellosigkeit Völkern und Ländern und ganzen Erdstrichen zu Lande und zu Wasser erwachsen? Durch Liebesverhältnisse und Ehebrüche und Weiberlisten sind die meisten und grössten Kriege entstanden, durch die der grösste und beste Teil der Hellenen und Barbaren aufgerieben und die Jugend der Städte vernichtet wurde. 57|Wenn aber die Folgen der Zügellosigkeit innere Unruhen und auswärtige Kriege und Leiden über Leiden ohne Zahl sind, so sind andererseits die Folgen der Enthaltsamkeit Wohlstand, Frieden, Besitz und Genuss vollkommenen Glückes.

58 (12.) Wir müssen aber auch die (tiefere) Bedeutung dieser Begebenheiten der Reihe nach darlegen. Der Käufer des darin geschilderten Jünglings wird (in der h. Schrift) als Eunuch bezeichnet; mit Recht; denn der Pöbel, der den Staatsmann kauft[1], ist in Wahrheit ein Eunuch, der scheinbar im Besitz der Geschlechtswerkzeuge ist, die Zeugungsfähigkeit aber verloren hat, sowie die Staräugigen, obwohl sie im Besitz der Augen sind, tatsächlich des Augenlichts beraubt sind und nicht sehen können. 59|Worin besteht nun die Aehnlichkeit des Pöbels mit den Eunuchen? Dass er unfähig ist Weisheit zu erzeugen (weisen Rat zu pflegen), wiewohl er glaubt Tugend zu üben; denn wenn ein Haufen zusammengewürfelter Menschen sich zusammenfindet, reden sie




  1. Philo denkt an die Ochlokratie, die zu Zeiten in einigen griechischer Staaten bestanden hat, wo der leitende Staatsmann ein Demagoge ist, der ein Sklave des herrschenden Pöbels genannt werden kann, weil er dessen bösen Neigungen und Begierden nachgibt, um sich in seiner Stellung zu behaupten.
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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/018&oldid=- (Version vom 3.9.2017)