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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

und noch manches dieser Art vorbrachte und auseinandersetzte, blieb sie zu allem stumm; denn mächtig sind die Begierden, sie bringen auch die schärfsten Sinne zum Schweigen. Als er dies erkannte, entfloh er und liess das Gewand, das sie erfasst hatte, in ihren Händen zurück. 50|Dieser Umstand gewährte ihr die Möglichkeit, Beschuldigungen gegen den Jüngling zu erfinden, mit denen sie sich an ihm rächen konnte. Als ihr Mann nämlich vom Markte nach Hause kam, stellte sie sich tugendhaft und sittsam und sehr erzürnt über unsittliche Anträge und sagte: „Du hast uns als Diener einen hebräischen Jüngling gebracht, der nicht nur deine Seele bereits verführt hat, so dass du ihm leichtsinnig und unüberlegter Weise das Haus anvertrautest, sondern auch gewagt hat meinem Körper Schimpf anzutun. 51|Es genügte ihm in seiner gierigen Lüsternheit nicht, nur die Mitsklavinnen zu gebrauchen, er hat auch versucht mich, die Herrin, zu verführen und zu vergewaltigen. Die Beweise für diese Verblendung liegen klar vor Augen; denn wie ich vor Schmerz aufschrie und die Leute im Hause zu Hilfe rief, bekam er ob des Unvorhergesehenen Angst, liess sein Gewand zurück und entfloh aus Furcht ergriffen zu werden“. 52|Und indem sie das Gewand vorzeigte, verlieh sie anscheinend Beweiskraft ihren Worten. Der Herr hielt sie auch für wahr und befahl den Sklaven ins Gefängnis abzuführen; er beging damit zwei grosse Fehler, einmal dass er keine Verteidigung zuliess und einen, der nichts begangen hatte, wie den grössten Verbrecher ungehört verurteilte, sodann aber auch weil das Gewand, das die Frau vorzeigte, als sei es von dem Jüngling zurückgelassen, ein Beweis war nicht für die Gewalt, die er angewandt hatte, sondern die er von der Frau erlitten hatte; denn hätte er Gewalt geübt, würde er das Gewand der Frau erfasst haben, da er aber gezwungen werden sollte, verlor er das seinige. 53|Der Mann ist aber vielleicht p. 50 M. wegen seiner grossen Unbildung zu entschuldigen, da er sein Leben in der von Blut und Rauch und Asche angefüllten Küche zubrachte, wo der Geist keine Gelegenheit hatte, Ruhe zu finden und sich mit sich selbst zu beschäftigen, weil er mehr noch oder nicht weniger als der Körper beschmutzt war.

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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/017&oldid=- (Version vom 3.9.2017)