Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn | |
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Erde bestattest wärest, hätte ich mir gesagt; wenn die Natur ihren schuldigen Tribut fordert, gräme dich nicht, mein Lieber; nur Lebende haben ein Vaterland, für die Toten ist jede Erde das (geeignete) Grab; und rasch ereilt das Schicksal entweder keinen oder alle Menschen, denn auch der Langlebigste ist kurzlebig im Vergleich zur Ewigkeit[1]. 25|Und wenn du doch auf gewaltsame Weise und durch hinterlistigen Anschlag sterben musstest, gälte es mir als kleineres Unglück, wenn du von Menschen getötet wärest, die, nachdem sie dich getötet, des Toten sich vielleicht erbarmt hätten, so dass sie Erdstaub aufschütteten und deinen Körper begruben; und wenn sie auch die allerrohesten Menschen wären, was könnten sie weiter tun als dich unbegraben liegen lassen und davongehen? Dann hätte vielleicht ein am Wege Vorübergehender, der herantrat und dich erblickte, der gemeinsamen Natur sich erbarmt und dich sorgsam bestattet. Nun aber bist du, wie man sagt, Mahl und Leckerbissen für wilde und fleischfressende Tiere geworden, die sich an der Frucht meiner Lenden gesättigt haben. 26|Manche Widerwärtigkeiten habe ich erfahren, durch viele Kümmernisse bin ich arg geprüft, ich musste umherirren, in die Fremde gehen, war gezwungen um Lohn zu dienen, wurde bis zur Lebensgefahr mit Nachstellungen bedroht von solchen, die es am wenigsten durften, vieles habe ich gesehen, vieles gehört, sehr viel Unerträgliches auch selbst erduldet: durch all dies wurde ich nicht gebrochen, da ich gelernt hatte Mass zu halten im Schmerz, aber nichts war zu ertragen so unmöglich wie das jetzt Geschehene, das die Kraft meiner Seele gebrochen und vernichtet hat. 27|Denn wo gibt es einen grösseren und bedauernswerteren Schmerz? Das Gewand des Sohnes wird mir, dem Vater, gebracht, von ihm selbst nicht ein Stück, nicht ein Glied, nicht der geringste Ueberrest; er ist ganz und gar verzehrt und konnte nicht einmal bestattet werden, und das Gewand scheint mir nur zugesandt zu sein zur Erinnerung an den Kummer und zur Auffrischung dessen, was er erlitten,
- ↑ Derselbe Gedanke bei Cicero Tusc. I 94 Cato mai. 69.
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/011&oldid=- (Version vom 1.9.2017)