Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn | |
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untilgbare Schuldzeichen von Treulosigkeit und Menschenhass hinterlassen; denn der Ruf von Grosstaten dringt überallhin, die lobenswerten finden Bewunderung, die frevelhaften Tadel und Verurteilung. 20|Wie wird unser Vater die Kunde von dem Geschehenen aufnehmen? Dem dreimal gesegneten und dreimal glücklichen Manne habt ihr jetzt ein Leben bereitet nach unserer Art, das nicht verdient gelebt zu werden. Wird er den Verkauften ob der Sklaverei oder die Verkäufer ob der Rohheit bemitleiden? Ich bin überzeugt, weit mehr uns, denn Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht leiden[1]; dieses wird durch zwei wichtige Dinge gemildert, Mitleid und Hoffnung, das andere erfährt keines von beiden und ist nach dem Urteil aller das schlimmere. 21|Aber wozu klage ich? Besser ist’s zu schweigen, sonst könnte mich selbst auch Unerwünschtes treffen; denn gar heftig und unerbittlich seid ihr in eurem Groll und noch wallet frisch in einem jeden von euch der Zorn“. 22|(5.) Als der Vater nicht die Wahrheit, dass sein Sohn verkauft sei, sondern die erlogene Kunde vernahm, dass er tot und wohl von wilden Tieren verzehrt sei, wurden gleichzeitig seine Ohren vom Schreck über das, was er vernahm, und seine Augen vom Schreck über das, was er sehen musste, getroffen; denn der zerrissene, beschmutzte und mit vielem Blute p. 45 M. getränkte Rock ward ihm gebracht. Zusammensinkend vor Schmerz lag er eine ganze Weile starr da und konnte nicht den Kopf erheben, da das Unglück ihn völlig knickte und niederwarf. 23|Dann brach er plötzlich mit heftigem Gestöhn in einen Strom von Tränen aus und benetzte Wangen und Bart und Brust und die Gewänder an seinem Leibe und sprach: „Nicht der Tod ist es, der mich so sehr betrübt, mein Kind, sondern die Art des Todes. Wenn du in deiner Erde hättest begraben werden können, wäre es ein Trost für mich gewesen; ich hätte dich doch vorher in der Krankheit gepflegt, ich hätte dir im Sterben die letzten Küsse gegeben und dir die Augen geschlossen, ich hätte die vor mir liegende Leiche beweint, ich hätte sie feierlich bestattet und keine der üblichen Ehren unterlassen. 24|Aber auch wenn du in fremder
- ↑ Bekannter Ausspruch des Sokrates. Vgl. z. B. Plat. Gorg. 509 c.
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/010&oldid=- (Version vom 1.9.2017)