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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

verschieden, weil der Wein nicht so notwendig und unentbehrlich ist wie das Brod. Der ganze übrige Teil des Buches (§ 157-270) gibt hauptsächlich den Inhalt der Kapitel 42-45 der Genesis wieder und schildert in ausführlicher Erzählung die beiden Reisen der Brüder nach Aegypten und die Begebenheiten bis zur Wiedererkennung Josephs, worauf kurz über die Ankunft Jakobs und seiner ganzen Familie in Aegypten berichtet wird. Zuletzt wird noch die Unterredung, die die Brüder mit Joseph nach dem Tode Jakobs hatten, erwähnt, und daran schliesst sich ein kurzer Rückblick auf die wunderbaren Lebensschicksale Josephs.

Die Darstellung ist in diesem Buche stark rhetorisch. Unter Benutzung der in der Bibel enthaltenen kurzen Reden, aber auch ohne solche, lässt Philo an zahlreichen Stellen lange Reden halten, die nach allen Regeln der Kunst gearbeitet sind. Manche von ihnen sind wenig am Platze, und was ihren Inhalt betrifft, so erscheinen die in ihnen ausgesprochenen Gedanken vielfach sehr gesucht (z. B. in der Rede Rubens § 17ff., in der Klage Jakobs § 23 ff.) Bisweilen kommen in den Reden bestimmte philosophische Theorien vor, die im Munde der betreffenden Persönlichkeiten wenig angemessen klingen. Ungeschickt ist die Rede Josephs an die Frau des Potiphar (§ 42ff.) eingeleitet: Philo lässt ihn (abweichend von der Darstellung der Bibel) seine lange Rede halten in dem Augenblick, da die Frau ihn an seinem Gewande ergriffen hat. Auch einen Anachronismus gestattet sich Philo in dieser Rede, er lässt Joseph auf ein Mosaisches Gesetz im Deuteronomium Bezug nehmen (§ 43). Die Erzählung selbst ist recht lebhaft und hebt die dramatischen Momente der Begebenheiten gebührend hervor.

LEBENSBESCHREIBUNG DES STAATSMANNES,
ODER UEBER JOSEPH

1II p. 41 M. (1.) Drei Dinge. sind es, durch die das höchste Ziel[1] erreicht wird, Unterricht, Naturanlage, Uebung, und die drei ältesten Weisen[2] sind nach Moses die Vertreter dieser Dinge. Nachdem ich deren Leben beschrieben habe, nämlich das durch Belehrung, das durch Selbstunterricht und das durch Uebung gewonnene, will ich als viertes in der Reihe das staatsmännische Leben schildern, als dessen Vertreter er ebenfalls, einen von den Stammvätern darstellt, der von Jugend


  1. d. h. das Ideal des Weisen nach stoischer Anschauung.
  2. die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob.
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Philon: Ueber Joseph in der Übersetzung von Leopold Cohn. Breslau 1909, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/005&oldid=- (Version vom 1.9.2017)