Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel | |
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172 Das vierte ist das Gebot, dass man nicht falsches Zeugnis ablege, mit dem wiederum vieles zusammenhängt, wie: keinen zu täuschen, keinen falsch anzuklagen, mit Verbrechern keine gemeinsame Sache zu machen, Treue und Glauben nicht zum Deckmantel der Untreue zu machen; über alle diese Dinge sind passende Gesetze gegeben. 173 Das fünfte Gebot endlich sucht die Quelle alles Unrechts, die unlautere Begierde, zurückzudrängen, von der die gesetzwidrigsten Handlungen ausgehen, gegen Private wie gegen die Gesamtheit, kleine und grosse Vergehen, gegen das Heilige wie gegen das Profane, gegen Leib und Seele wie gegen die sogenannten äusseren Güter. Denn nichts ist geschützt vor der Begierde, wie schon früher gesagt ist; ja, wie eine Flamme am Holz erfasst sie alles, verzehrt es und richtet es zu Grunde. 174 Vieles von dem, was hierher gehört, ist gesetzlich geordnet zur Warnung für solche, die Ermahnungen annehmen, und zur Strafe für die Gesetzesübertreter, die ihr ganzes Leben hindurch dieser Leidenschaft sich hingegeben haben.
175 (33.) Soviel wird auch über die zweite Reihe von fünf Geboten genügen, sodass der Inhalt der zehn Gebote vollständig dargelegt ist, die Gott selbst in seiner Heiligkeit geoffenbart hat. Denn es entsprach seinem Wesen, den allgemeinen Teil der Gesetze in eigener Person zu verkünden, die Einzelgesetze aber durch den vollkommensten der Propheten, den er vor allen auserkoren und, nachdem er ihn mit dem Gottesgeist erfüllt, zum Dolmetsch seiner Offenbarungen bestellt hat. 176 Nun aber wollen wir noch den Grund angeben, warum er die zehn Worte oder Gesetze einfach als Gebote und Verbote verkündete, ohne gegen die, die sie übertreten würden, wie das sonst bei Gesetzgebern üblich, irgend eine Strafe festzusetzen. (Der Grund ist dieser:) Der Verkünder war Gott, der ja zugleich ein gütiger Herr ist, Urheber nur des Guten, keines Bösen[1]. 177 Da er es nun seinem Wesen angemessen fand, die heilsamen Gebote ohne Zusatz und ohne Erwähnung von Strafen zu geben, damit nicht etwa jemand von unvernünftiger Furcht geleitet ungern und nur [p. 209 M.] gezwungen, sondern mit vernünftiger Ueberlegung freiwillig
- ↑ Vgl. Ueber die Weltschöpfung § 75 und die Anm. dazu.
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/042&oldid=- (Version vom 9.12.2016)