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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

hemmt, alles im Leben notwendig entgegengesetzt dem natürlichen Verlaufe bewegen. Denn es gibt nichts, was von dieser Leidenschaft verschont bleibt und ihr entgeht; denn sobald sie einmal die volle Macht über einen hat, verbreitet sie sich über alles und jedes und richtet überall Schaden an. 151 Es ist vielleicht töricht, lange zu reden von Dingen, die so offenkundig sind; denn wo gibt es eine Person oder eine Gesamtheit, die diese Dinge nicht kennt, da sie nicht nur jeden Tag, sondern so zu sagen jede Stunde deutliche Beweise von sich geben? Sind etwa Geldgier oder Verlangen nach einem Weibe oder nach Ruhm oder nach irgend einem andern Gegenstande, der Vergnügen macht, die Ursache nur kleiner und gewöhnlicher Uebel? 152 Werden nicht dadurch Verwandte erzürnt, so dass ihre natürliche Zuneigung zueinander sich in unheilbare Feindschaft verwandelt? Werden nicht grosse und volkreiche Länder infolge davon durch innere Unruhen entvölkert? Sind nicht Land und Meer voll von stets sich erneuernden Leiden durch die Verheerungen, die See- und Landheere[1] anrichten? 153 Die tragischen Kämpfe der Hellenen und Barbaren, die sie unter sich und gegeneinander geführt haben, sind doch alle aus der einen Quelle geflossen, der Begierde nach Schätzen oder Ruhm oder Sinneslust, denn auf diese Dinge ist die Sorge des Menschengeschlechts gerichtet.

154 (29.) Doch genug davon. Man muss aber auch wissen, dass die zehn Gottesworte den Hauptinbegriff der Einzelgesetze bilden, die an verschiedenen Stellen der Gesamtgesetzgebung der heil. Schrift verzeichnet sind. 155 So begreift das erste Gebot alle die Bestimmungen über die Alleinherrschaft (Gottes) in sich; diese erklären, dass einer der Urgrund der Welt ist, einer der Herr und König, der das All zu seinem Heile lenkt und regiert, der die Herrschaft einiger wenigen oder die Herrschaft des Volkshaufens, schädliche Regierungsformen, wie sie bei den schlechtesten Menschen aus der Unordnung oder Anmassung entstehen, aus dem reinsten Teile der Welt, seinem Himmel, verbannt hat. 156 Das zweite Gebot ist die Grundlage für alle Gesetzesbestimmungen


  1. Für ναυμαχίαις ist ναυμαχικαῖς zu lesen. [L. C.]
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/038&oldid=- (Version vom 9.12.2016)