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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

denn nicht ohne vorher geschworen zu haben pflegt der Richter Recht zu sprechen, sondern nur nach Ableistung eines schrecklichen Eidschwures; diesen verletzen (die falschen Zeugen), die die Täuschung verüben, mehr als die getäuschten (Richter); denn bei diesen ist der Fehlspruch nicht beabsichtigt, jene aber hintergehen wissentlich, sie sündigen selber mit Vorbedacht und veranlassen die Richter, die das Urteil zu fällen haben, ohne dass sie wissen, was sie tun, an ihrem Verbrechen teilzunehmen, zum Schaden solcher, die keine Strafe verdient haben. Aus diesen Gründen [p. 204 M.] also, glaube ich, verbietet er falsches Zeugnis abzulegen.

142 (28.) Zuletzt verbietet er (fremdes Gut) zu begehren, in der Erkenntnis, dass die böse Begierde zur Neuerungssucht führt und Schaden anrichtet. Wohl sind alle Leidenschaften der Seele von Uebel, sie versetzen sie in unnatürliche Bewegung und Unruhe und lassen sie nicht gesund[1], am schlimmsten aber ist die böse Begierde; denn[2] jede andere (Leidenschaft), die von aussen wie durch eine Tür hereinkommt und uns überfällt, scheint unfreiwillig zu sein, nur die Begierde geht von uns selbst aus und ist also freiwillig. 143 Wie ist das zu verstehen? Die Vorstellung von einem vorhandenen und dafür gehaltenen Glücke weckt und erregt die sonst ruhige Seele und richtet sie hoch auf, ebenso wie ein aufflammendes Licht die Augen; man nennt diese Empfindung der Seele Lust[3]. 144 Wenn aber das Gegenteil des Glücks, das Unglück, plötzlich hereinbricht[4] und der Seele einen harten Schlag versetzt, erfüllt es sie gleich wider ihren Willen mit Sorge und Betrübnis; dieses Gefühl heisst Schmerz. 145 Wenn aber das Unglück noch nicht eingetroffen ist und noch nicht drückt, aber zu kommen droht und sich


  1. Nach der stoischen Lehre verursachen die Affekte (Lust, Schmerz, Furcht und Begierde) eine Störung und Krankheit der Seele, darum sind sie wider die Natur: Zeno frg. 136. 138.
  2. Für διό ist διότι zu lesen. [L. C.]
  3. Nach der Definition der Stoiker ist die Lust eine (unvernünftige) Hebung der Seele (ἡ ἡδονή ἐστιν ἄλογος ἔπαρσις τῆς ψυχῆς): Zeno frg. 139. Diog. La. VII, 114.
  4. Für ἐκβιασάμενον ist εἰσβιασάμενον zu lesen. [L. C.]
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: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/036&oldid=- (Version vom 9.12.2016)