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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

werden können, weder dem des Ehemannes noch dem des Ehebrechers. 131 Da also ungesetzliche Begattung solches Unheil stiftet, ist der Ehebruch, dieses verabscheuenswerte und gottverhasste Verbrechen, mit Recht als erstes der Vergehen gegen Menschen (im Dekalog) verzeichnet worden.

132 (25.) Das zweite Gebot ist: nicht töten. Denn da die Natur[1] den Menschen, das sanfteste Geschöpf, als ein geselliges und das Zusammensein liebendes Wesen geschaffen, forderte sie ihn zur Eintracht und Brüderlichkeit auf und verlieh ihm die Vernunft, die ihn zu harmonischer Bildung des Charakters führen sollte. Wer also einen Menschen tötet, soll wissen, dass er die Gesetze und Ordnungen der Natur umstösst, die in trefflichster Weise und zum Nutzen für alle gegeben sind. 133 Er soll aber auch wissen, dass er sich des Tempelraubes schuldig macht, weil er das heiligste Besitztum Gottes geplündert hat[2]; denn welches Weihgeschenk wäre achtbarer oder heiliger als der Mensch? Gold, Silber, kostbare Steine und alle anderen wertvollen Stoffe sind doch nur seelenloser Schmuck seelenloser Bauwerke. 134 Der Mensch dagegen, wegen des besseren Teils in ihm, wegen der Seele, das edelste Geschöpf, ist dem reinsten Teile der bestehenden Welt, dem Himmel, ja, wie die meisten sagen, sogar dem Vater der Welt am verwandtesten, da er von allen Geschöpfen auf Erden das eigenste Abbild der ewigen und glückseligsten Idee in seiner Vernunft empfing.

135 (26.) Das dritte Gebot der zweiten Reihe ist: nicht stehlen. Denn wer nach fremdem Gute verlangt, ist ein gemeinsamer Feind des Staates, der, ginge es nach seinem Willen, das Eigentum aller an sich reissen würde und nur, weil seine Macht bloss so weit reicht, das einiger wenigen raubt, indem die Habsucht bei ihm sich zwar weit erstreckt, das Können aber hinter dem Wollen zurückbleibt und daher sich beschränken muss und nur einige wenige treffen [p. 203 M.]


  1. „Die Natur“ hier nach stoischer Terminologie für „Gott“; vgl. Ueber Joseph § 38.
  2. So auch der Midrasch: vgl. Beresch. R. c. 34 im Anschluss an 1 Mos. 9,6: „R. Akiba sagte: wer Menschenblut vergiesst, hat gewissermassen die Ebenbildlichkeit Gottes verkürzt“.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/034&oldid=- (Version vom 9.12.2016)