Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/011

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

Vorzüge der Zehnzahl, die fast endlos an Zahl sind, hier aufzuzählen und damit etwas Grosses nur nebensächlich zu behandeln, das für sich allein genügender Erörterungsgegenstand ist für solche, die Mathematik treiben? Von den anderen Eigenschaften also soll jetzt abgesehen werden, nur eine beispielshalber zu erwähnen mag nicht unangemessen erscheinen. 30 Zehn sogenannte Kategorien[1] zählen in der Natur (der Dinge) die mit den Lehren der Philosophie Beschäftigten: Substanz, Qualität, Quantität, Relation, das Tun, das Leiden, den Zustand, die Lage, endlich die Dinge, ohne die überhaupt nichts sein kann, Zeit und Raum. Denn es gibt nichts, was an diesen Kategorien nicht teilhat. 31 So z. B. habe ich meinen Anteil an Substanz, indem ich von jedem der Elemente, aus denen diese Welt gemacht ist, von Erde, Wasser, Luft und Feuer, etwas besitze, was mir gleichsam zum Darlehn gegeben ist, und zwar gerade das, was zu meiner Existenz hinreicht. Ich habe weiter eine gewisse Beschaffenheit, insofern ich Mensch bin, und eine gewisse Grösse, indem ich so und so lang bin, ich habe auch eine gewisse Beziehung, je nachdem einer sich rechts oder links von mir befindet. Ferner: ich tue etwas, wenn ich z. B. etwas reibe oder schere, und ich leide, wenn ich von anderen geschoren oder gerieben werde. Ich befinde mich in einem gewissen Zustand, wenn ich entweder bekleidet oder bewaffnet bin, und in einer gewissen Lage, wenn ich entweder sitze oder lagere. Endlich bin ich durchaus in Raum und Zeit, da von den vorgenannten Dingen keines ohne beides bestehen kann.

32 (9.) Doch davon genug. Es wird nun nötig sein, das folgende der Reihe nach zu besprechen. Die zehn Worte oder göttlichen Aussprüche, die wahrhafte Gesetze oder göttliche Satzungen sind, hat der Vater des Weltalls vor versammeltem Volke, vor Männern und Frauen zugleich, geoffenbart. Also hätte Gott eine Art Stimme gehabt, mit der er selbst sie ausgesprochen? Nicht doch! Solches darf uns gar nicht in den Sinn kommen. Denn nicht wie ein Mensch ist Gott,


  1. Die bekannten aristotelischen Kategorien oder allgemeinsten Arten der Aussage.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/011&oldid=- (Version vom 9.12.2016)