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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

Herrschaft und zeigen, dass sie eines anderen und nicht dein Besitztum sind. 70 Wie aber? vom Vieh — Vieh bedeutet die Sinne, denn unvernünftig und tierisch ist die Sinnlichkeit — wagst du zu behaupten, dass es dein sei? Sage mir doch: wenn [p. 152 M.] du dich immer versiehst oder verhörst, wenn du die süssen Säfte bisweilen für herb und umgekehrt die bitteren für süss hältst, wenn du mit jedem Sinn mehr fehlzugehen als richtig zu empfinden pflegst, schämst du da dich nicht, sondern prahlst und brüstest dich, als ob du alle Kräfte und Tätigkeiten der Seele ohne zu straucheln gebrauchen könntest? 71 (22.) Wenn du aber deinen Sinn änderst und zu Verstand kommst, wie es sich gehört, dann wirst du eingestehen, dass alles Gottes Besitztum ist, nicht das deinige, die Gedanken, die Erkenntnisse, die Künste, die Grundsätze, die Einzelurteile, die Sinne, die durch sie und ohne sie ausgeübte Tätigkeit der Seele; wenn du hingegen für alle Zeit unerzogen und unbelehrt bleiben willst, dann wirst du ewig schlimmen Herrinnen untertan sein, Einbildungen, Begierden, Lüsten, Ungerechtigkeiten, Unbesonnenheiten, falschen Meinungen. 72 Denn so heisst es (in der h. Schrift): „wenn der Knecht antwortet und sagt: ich liebe meinen Herrn, mein Weib und die Kinder, ich will nicht frei ausgehen“, so wird er, vor Gottes Gericht gebracht und von ihm als Richter abgeurteilt, als sicheren Besitz erhalten, was er gefordert hat, nachdem ihm zuvor mit der Pfrieme das Ohr durchbohrt ist (2 Mos. 21,5. 6), damit es nicht die göttliche Stimme für die Freiheit der Seele vernehme. 73 Denn es zeugt von dem Urteil eines gleichsam aus dem heiligen Festspiel ausgeschlossenen, ausgestossenen, wirklich völlig unreifen Knechtes, zu prahlen, dass er den Geist liebhabe und den Geist für seinen Herrn und Wohltäter halte, dass er die Sinnlichkeit sehr liebe und sie als sein Besitztum und sein grösstes Glück ansehe, und ebenso die Kinder dieser beiden, die des Geistes: das Denken, das Urteilen, das Erwägen, das Bezwecken, die der Sinnlichkeit: das Sehen, das Hören, das Schmecken, das Riechen, das Betasten und allgemein das sinnliche Empfinden. 74 (23.) Wer sich nur mit diesen Dingen befreundet, kann freilich nicht einmal im Traum etwas von Freiheit empfinden; denn nur durch Flucht vor ihnen und durch


Empfohlene Zitierweise:
: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/024&oldid=- (Version vom 3.12.2016)