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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

als auch Vater aller Dinge, der sie ja geschaffen hat, und endlich Mann der Weisheit, der den Samen der Glückseligkeit für das sterbliche Geschlecht in die gute und jungfräuliche Erde versenkt. 50 Denn mit der unbefleckten, unberührten, reinen Natur, dieser wahrhaften Jungfrau, zu verkehren ziemt allein Gott, und zwar ganz anders als uns; denn bei den Menschen macht die Vereinigung zum Zwecke der Kindererzeugung die Jungfrau zum Weibe; wenn aber Gott mit der Seele zu verkehren begonnen hat, erklärt er die, die zuvor schon Weib war, wieder zur Jungfrau, da er die unedlen und unmännlichen Begierden, durch die sie Weib wurde, aus ihr wegschafft und dafür die edlen und unbefleckten Tugenden in sie einführt. So verkehrt er mit Sarah nicht eher, als bis sie alle Eigenschaften des Weibes verloren hat (1 Mos. 18,11) und wieder zum Rang einer reinen Jungfrau zurückgekehrt ist. 51 (15.) Freilich ist es wohl möglich, dass auch eine jungfräuliche Seele durch zügellose Leidenschaften befleckt und geschändet wird. Deshalb nennt der Prophetenspruch achtsamerweise Gott nicht Mann der Jungfrau — denn diese ist wandelbar und sterblich — sondern „der Jungfräulichkeit“, d. h. der sich stets gleich bleibenden Idee. Denn während die körperlichen Dinge naturgemäss Werden und Vergehen erfahren, haben die die Einzeldinge prägenden Kräfte ein unvergängliches Los gezogen. 52 Der ungewordene und unwandelbare Gott pflanzt also angemessenerweise die Ideen unsterblicher und jungfräulicher Tugenden in die Jungfräulichkeit, die sich niemals in die Gestalt eines Weibes verwandelt. Weshalb nun, o Seele, die du im Hause Gottes jungfräulich sein und nach Erkenntnis streben solltest, wendest du dich davon ab und begrüssest freudig die Sinnlichkeit, die dich zum Weibe macht und dich befleckt? Wirst du doch einen beschmutzten und von Verderben erfüllten Sprössling gebären, den verfluchten Brudermörder Kain, ein nicht zu besitzendes Besitztum; denn Kain heisst „Besitz“[1].

53 (16.) Man könnte sich aber über die Art der Darstellung [p. 149 M.] wundern, deren sich der Gesetzgeber oft unter Abweichung von der Gewohnheit in vielen Fällen bedient. Nach (der Erzählung


  1. Etymologische Erklärung nach 1 Mos. 4,1 קניתי‎ (ἐκτησάμην).
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/019&oldid=- (Version vom 3.12.2016)