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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

einer Rückkehr, vertrieben wird. 4 (2.) Die Gründe der ersten Flucht wie der späteren ewigen Verbannung müssen wir nun erörtern. Abraham und Sarah waren noch nicht umbenannt, d. h. ihre Seelen waren noch nicht umgeformt und im Vorschreiten zum Besseren veredelt, sondern Abraham war noch der „hochstrebende Vater“[1], der die Erforschung der hoch in der Luft sich ereignenden und der darüber hinaus am Himmel befindlichen Dinge betrieb, ein Lerngebiet, das den vorzüglichsten Teil der Naturwissenschaft bildet, 5 und Sarai, die symbolische Bezeichnung meiner Herrschaft — denn der Name bedeutet „meine Herrschaft“ — hatte sich noch nicht in die allgemeine Tugend umgewandelt — jedes Allgemeine ist ja unvergänglich —, sie befand sich noch bei den Einzeldingen und Arten, wie die Denkkraft in mir und die Besonnenheit, ebenso die Tapferkeit und Gerechtigkeit, die vergänglich sind, weil auch ich, bei dem sie ihre Stätte haben, vergänglich bin. 6 Damals hat Hagar, die mittlere, allgemein wissenschaftliche Bildung, dem ernsten und strengen Leben der Tugendfreunde zu entfliehen versucht, sie kehrt aber wieder zu demselben zurück, da es noch nicht die allgemeinen und unvergänglichen Höhen zu erreichen vermag, sondern noch an den Einzeldingen und Arten haftet, wo eine mittlere Stellung statt der höchsten erwünscht ist. 7 Dann aber wird Abram aus einem Erforscher der Natur zu einem Weisen und Gottesfreunde und wird Abraham [p. 140 M.] umbenannt, was „auserwählter Vater des Schalls“ bedeutet — denn das laut ausgesprochene Wort schallt, dessen Vater aber ist der Geist, und auserwählt ist der (Geist) des Weisen[2] —; und Sarai wird statt „meiner Herrschaft“ Sarah, d. h. „die Herrschende“, was soviel bedeutet wie: aus der einzelnen, vergänglichen Tugend wurde sie zur allgemeinen, unvergänglichen; 8 da erstrahlt auch der Stern der Glückseligkeit, Isaak[3], nach dem Aufhören der weiblichen Weise[4] und nach dem Absterben


  1. Vgl. Ueber Abraham § 82 (Bd I. S. 114) und Allegor. Erklär. III § 244 nebst Anm.
  2. Für ἐπειλημμένος τοῦ σπουδαίου ist nach dem Zitat bei Clem. Alex. Strom. V. 1,8 p. 648 P. ἐξειλεγμένος δὲ ὁ τοῦ σπουδαίου zu lesen.
  3. Isaak, nach der hebr. Etymologie „das Lachen“, ist Symbol der reinen Freude und der Freiheit von Leidenschaften, also der Glückseligkeit.
  4. Anspielung auf 1. Mos. 18,11; vgl. die Anm, S. 155,2.
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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/007&oldid=- (Version vom 3.12.2016)