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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

dem Begehrenden, die Schlechtigkeit dem Schlechten; der Weinstock, den wir Unvernünftigen, ohne es zu merken, gegen uns selbst anbauen, dessen Frucht wir sowohl essen und auch trinken und sie so in jede der beiden Arten von Nahrung einreihen, dessen wir uns bemächtigen, wie es scheint, nicht zu einem halben Schaden, sondern zu einem ganzen, vollen und vollständigen.

[24] 164 Man darf aber nicht übersehen, daß der berauschende Trank des Weinstocks alle, die ihn genießen, nicht in denselben, sondern oft in entgegengesetzte Zustände versetzt, so daß die einen von ihnen als besser, die andern schlechter als sie waren, erfunden werden. 165 Den einen nämlich entfesselte er die Versonnenheit und den Mißmut, erleichterte die Sorgen, besänftigte Zorn und Leid, lenkte ihren Charakter zur Milde und machte die Seelen mit sich selbst zufrieden; den andern wiederum reizte er den Mut an, steigerte die Lust,[1] erregte die Sinnlichkeit, erweckte die Roheit und erzeugte einen vorlauten Mund, eine ungezügelte Zunge, schrankenlose Sinne, rasende Leidenschaften und einen verwilderten, von allem aufgeregten Geist; 166 so scheint es, als gliche der Zustand der ersteren dem windstillen Wetter in der Luft oder der wellenlosen Stille auf dem Meere oder der friedlichsten Beständigkeit im Staatsleben, der der letzteren aber dem heftigen und starken Winde oder dem stürmischen und wogenden Meere oder dem Aufstand, der Unruhe, die grauenvoller ist als ein friedloser und unversöhnlicher Krieg. 167 Es gibt nun aber zweierlei [681 M.] Gastmähler: das eine ist erfüllt von Lachen, Scherz, von Anbietenden, gutes Erwartenden, Gastgeschenke Bringenden, von Fröhlichkeit, freudigem Zuruf, Heiterkeit, Frohsinn und Sicherheit, 168 das andere aber von Nachdenklichkeit, Verdrossenheit, Anstößigkeiten, Schimpfereien, Verletzungen, von Zürnenden, Mißtrauischen, Zankenden, sich Würgenden, Raufenden, Ohren und Nasen und was sonst zufällig an Körperteilen zur Hand ist, Verstümmelnden[2] und den Rausch und die Unvernunft ihres ganzen


  1. Nach Mangeys Konjektur.
  2. Die Schilderung eines solchen Gastmahls, bei dem die Gäste, die vom Weine den Verstand verloren haben, schreien und rasen wie wilde Hunde und einander Nasen, Ohren und Finger abbeißen, gibt Philo im Anschluß an kynische Motive in: Über das der Betrachtung geweihte Leben § 40ff.; vgl. dazu P. Wendland, Philo und die kynisch-stoische Diatribe (Beiträge zur Gesch. der griech. Philosophie und Religion 1895), S. 21ff. und Über die Pflanzung Noahs § 160 mit Anmerkung.
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/91&oldid=- (Version vom 7.1.2019)