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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

muß, dann müssen die, die sich mit einer bitter-süßen Lust erfüllen, in einem nicht mehr lebenswerten Leben weiterexistieren, zu Schädlichem hinstrebend, als ob es Nützliches wäre, aus Unkenntnis dessen, was ihnen zuträglich ist. 151 Die lästigste Flut solcher Übel aber bricht dann herein, wann die unvernünftigen Kräfte der Seele die des Verstandes angreifen und besiegen. 152 Solange nämlich die Rinderherden [679 M.] den Rinderhirten, die Schafherden den Schafhirten und die Ziegenherden den Ziegenhirten gehorchen, werden die Angelegenheiten der Herden gut verrichtet; sobald aber die vorgesetzten Herdenführer schwächer werden als ihre Tiere, wird alles falsch gemacht, und Unregelmäßigkeit entsteht aus Regelmäßigkeit, Unordnung aus Ordnung, Unruhe aus Beständigkeit und Verwirrung aus Trennung, weil keine gesetzliche Aufsicht mehr besteht; denn wenn eine da war, so ist sie jetzt schon zerstört. 153 Wie nun? Meinen wir nicht, daß auch in uns selbst eine Herde von Tieren ist, insofern der unvernünftige Haufe unsrer Seele von der Vernunft getrennt ist,[1] und ein Hirt, der führende Geist? Solange er jedoch kräftig ist und zum Beherrschen der Herde fähig, wird alles gerecht und zuträglich verrichtet. 154 Wenn aber den König eine Schwäche überfällt, dann müssen auch die Untertanen miterschlaffen; und wenn sie am meisten frei geworden zu sein glauben, dann werden sie am meisten ein Kampfpreis, der bereit da liegt für die, die sich auch nur zum Kampfe rüsten wollen. Denn die Herrenlosigkeit ist etwas Gefährliches, die Herrschaft aber etwas Heilbringendes, und besonders die, in der Gesetz und Gerechtigkeit geachtet sind; das aber ist die Herrschaft, die mit Vernunft ausgeübt wird.

[23] 155 Die Träume des leeren Wahns mögen nun hiermit erörtert sein. Der Völlerei aber gibt es zwei Arten: Trinken und Essen, aber das eine braucht nicht verschiedenartige Würzen und Zutaten, das andere unzählig viele. Dies obliegt nun zwei erfindungsreichen Verwaltern, die (Erfordernisse) des übertrieben sorgfältigen Trinkens dem Obermundschenk, die des nötigeren Essens dem Oberbäcker. 156 Wohlweislich aber werden sie uns als Leute dargestellt, die in ein und derselben Nacht ihre Träume haben; denn beide bemühen sich um dasselbe Bedürfnis und besorgen die Ernährung, nicht die einfache, sondern die mit Lust und Genuß verbundene. Und jeder von ihnen arbeitet für eine Hälfte der Ernährung, beide zusammen


  1. Nach Wendlands Konjektur: <λόγον> ἐκτέτμηται ψυχῆς τὸ ἄλογον στῖφος.
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/89&oldid=- (Version vom 7.1.2019)