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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

aber ist es an der Zeit, das andere zu betrachten und zu untersuchen, wie es von der Traumdeutungskunst bestimmt wird. 111 „Er sah“, heißt es nun, „einen andern Traum und erzählte ihn seinem Vater und seinen Brüdern und sprach: Mir schien, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir. Und sein Vater schalt ihn und sprach: was ist das für ein Traum, den du da geträumt hast? Sollen etwa ich und deine Mutter und deine Brüder uns aufmachen und kommen und vor dir niederfallen auf die Erde? Es beneideten ihn aber seine Brüder, sein Vater aber behielt das Wort“ (1 Mos. 37,9–11). 112 Es sagen nun die Meteorologen, der Zodiakus sei der größte unter den Himmelskreisen[1] und werde durch die zwölf Tiersternbilder geschmückt, von denen er den Namen hat; Sonne und Mond aber, die sich immer um ihn herumdrehen, gingen durch jedes Tierbild hindurch, nicht mit derselben Geschwindigkeit, sondern in ungleichen Zahlen und Zeiten, jene in dreißig Tagen, dieser aber höchstens in einem Zwölftel hiervon, was zwei und ein halber Tag ist. 113 Es kam nun dem, der die gottgesandte Erscheinung sah, so vor, als werde er von elf Sternen ehrfürchtig gegrüßt; als zwölften aber ordnete er sich selbst ein, um den Tierkreis voll zu machen. 114 Ich erinnere mich aber, daß ich auch schon früher einmal von einem Manne hörte, der sich nicht ohne Sorgfalt und nicht leichtsinnig mit dieser Wissenschaft beschäftigte, daß nicht die Menschen allein ehrsüchtig sind, sondern auch die Sterne und daß im Wettkampf um den Vorrang die größeren [674 M.] immer von den kleineren Trabantendienst verlangen[2]. 115 Ob das nun Wahrheit oder leeres Geschwätz ist, das zu untersuchen mag denen überlassen bleiben, die den Himmelserscheinungen nachjagen. Wir aber meinen, daß, wer wirren Eifer, unsinnige Streitsucht und leeren Wahn liebt, immer von Torheit aufgeblasen ist und nicht nur über Menschen, sondern auch über das natürliche Wesen der Dinge hinwegzusehen sich vermißt. 116 Und er meint, um seinetwillen sei dies alles geworden und jedes müsse ihm wie einem König seinen Tribut bringen: Erde, Wasser, Luft und Himmel. Und er verfügt über solch ein Übermaß von Einfalt, daß er sich nicht überlegen kann, was schon ein unverständiges Kind einsehen könnte, daß kein Künstler jemals um des


  1. Die sieben Himmelskreise sind: der nördliche und der südliche Polarkreis, der Frühjahrs- und Herbstwendekreis, der Äquator, der Tierkreis und die Milchstraße. Vgl. Über die Weltschöpfung § 112.
  2. Diese Vorstellung findet sich auch im rabbinischen Judentum.
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/82&oldid=- (Version vom 7.1.2019)