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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

eines Geschöpfes oder nach den menschlichen Bestrebungen zu greifen. ...[1] 69 die Hand, die an die Hoden gegriffen hat, soll abgeschlagen werden (5 Mos. 25, 11. 12),[2] erstens weil sie die Lust begrüßte, die man hassen sollte, zweitens weil sie glaubte, das Zeugen stünde in unserer Macht, schließlich weil sie dem Geschöpf die Kraft des Schöpfers zugeschrieben hat. 70 Siehst du nicht, daß Adam, die Erdmasse, stirbt, als er nach dem Zwillingsbaum[3] greift (1 Mos. 2, 9), weil er die Zweiheit höher schätzte als die Einheit und die Schöpfung mehr bewunderte als den Schöpfer?[4] Du aber komm heraus aus dem Dunst und Wogenschwall[5] und entfliehe den lächerlichen Bestrebungen des sterblichen Lebens wie jener furchtbaren Charybdis[6] und berühre sie, wie man so sagt, auch nicht mit der Fingerspitze. 71 Wenn du dich aber zu den heiligen Dienstleistungen rüstest, mache deine ganze Hand und Kraft auf und fasse recht fest die Lehren der Bildung und Weisheit an. Es gibt nämlich auch ein Gebot, das folgendermaßen lautet: „Wenn eine Seele eine Gabe oder ein Opfer darbringt, soll die Gabe aus Mehl bestehen“, und dann fügt sie (die hl. Schrift) hinzu: „und er soll eine Handvoll nehmen von dem Mehl mit dem Öl und dem ganzen Weihrauch und soll das Gedächtnisopfer auf den Altar legen“ (3 Mos. 2, 1. 2). 72 Sagt sie nicht sehr treffend, daß es die unkörperliche Seele sei, die da opfern will, aber nicht die zweifache aus Sterblichem und Unsterblichem bestehende Masse? Denn was in Wahrheit betet, danksagt, wahrhaft untadlige Opfer darbringt, war doch nur eins, die Seele. Was ist nun das Opfer der körperlosen Seele? 73 Was anders als Mehl, das Symbol einer durch die Lehren der Bildung gereinigten Gesinnung, die dazu fähig ist, die Nahrung gesund und das Leben schuldlos zu machen? 74 Von ihr, wird befohlen, soll der Priester mit der ganzen Handvoll zulangen, das heißt: mit allen Handgriffen des Geistes, und die mit den lautersten und reinsten Lehren ganz


  1. Hier ist eine größere, unausfüllbare Lücke im Text.
  2. Vgl. Über die Einzelgesetze III § 175.
  3. δίδυμον ξύλον wohl deshalb, weil ein Doppeltes, nämlich die Erkenntnis des Guten und die des Bösen, mit dem Essen der Frucht dieses Baumes verbunden war. Durch das Attribut δίδυμον stellt Philo eine im Deutschen nicht wiederzugebende Beziehung zu den „Hoden“ her, die im Griechischen δίδυμοι heißen.
  4. Nach der pythagoreischen Zahlensymbolik ist die Zweiheit das Symbol des Kosmos, die Einheit das des höchsten Gottes.
  5. Anklang an Homer, Odyssee 12, 219.
  6. Anklang an Homer, Odyssee 12, 219.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/75&oldid=- (Version vom 7.10.2018)