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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

Nötige, so wächst an dem wahren und anspruchslosen Leben das falsche und verblendete, für das sich bis zum heutigen Tage kein Gärtner gefunden hat, der den schädlichen Zuwachs mit den Wurzeln selbst abschnitt. 65 Deshalb also schreien die um Einsicht Ringenden, die von ihm wissen, daß er (Joseph) dieser Mißbildung[1] zuerst mit den Sinnen, dann auch mit dem Geiste nachging, geradezu auf: „Ein böses Tier hat Joseph geraubt und gefressen“ (1 Mos. 37, 33). 66 Und ist nicht ein wildes Tier das vielverworrene, aus Hoffahrt gemachte Leben der in Verwirrung geratenen Menschen, dessen schlaue Schöpfer Habsucht und Tücke sind, und läßt es sich nicht alle gut schmecken, die in seine Nähe kommen? Darum wird auch für sie, obwohl sie noch leben, wie für Tote Trauer veranstaltet werden, da sie ein Leben haben, das des Jammers und der Klagen wert ist. Weshalb ja auch Jakob um Joseph trauert, obwohl er noch lebt. 67 Moses aber will es nicht zulassen, daß Nadab und seine heiligen Logoi[2] betrauert werden (3 Mos. 10, 6); sie wurden nämlich nicht von einem wilden, bösen Tier geraubt, sondern von der Kraft einer unauslöschbaren und unsterblichen Flamme emporgehoben, weil sie den heißen, feurigen, das Fleisch verzehrenden und nach der [668 M.] Frömmigkeit hineilenden Eifer, der dem Irdischen fremd, Gott aber vertraut ist, unbefleckt als Opfer darbrachten, nachdem sie das zögernde Bedenken aus dem Weg geräumt hatten. Zum Altar waren sie nicht über die Stufen gelangt – denn das ist vom Gesetz verboten –, sondern von günstigem Winde emporgehoben und bis zu den Himmelskreisen getragen, wurden sie wie ein Brand- und Fruchtopfer in ätherische Strahlen aufgelöst. [10] 68 Nun aber soll, liebe Seele, die du dem Lehrer gehorchst, deine Hand und deine Kraft[3] abgeschlagen werden, sobald sie beginnt, nach den Geschlechtsteilen


  1. Die Übersetzung des Satzes folgt dem von M. Adler gemachten Vorschlag zu lesen: τοιγαροῦν εἰδότες oἱ φρονήσεως ἀσκηταί <τὸν> τὸ κατάπλαστον τοῦτ` αἰσθήσει πρῶτον, <εἶτα καὶ> διανοίᾳ μεταδιώκοντα. Unter dem von Wendland erschlossenen, allerdings von Philo sonst nicht gebrauchten κατάπλαστον, das aber im folgenden durch τυφοπλαστηθεὶς βίος gestützt wird, hat man das zu verstehen, was sich nach dem vorausgehenden Bilde von den überflüssigen Zweigen auf dem gesunden Stamm des Lebens noch dazu gebildet hat. Es ist ein Synonym zu προσθήκη oder ἐπίφυσις, etwas, das sich auf dem Organismus noch dazu gebildet hat, eine Mißbildung.
  2. Die περὶ Ναδὰβ ἱεροὶ λόγοι sind wohl nach Über Abrahams Wanderung §§ 168–170 Aron, Abihu und die siebenzig Ältesten Israels, die dort als die νοῦ δορυφόροι δυνάμεις bezeichnet werden.
  3. Die Hand ist bei Philo das Symbol der Kraft.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/74&oldid=- (Version vom 7.10.2018)