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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

wie auch die Unvernunft der Sinnlichkeit, ausgebildet durch die mütterliche Abstammung von Rahel, wie auch der Keim der körperlichen Lust, den der Umgang mit Obermundschenken, Oberbäckern und Oberköchen in ihn legte, wie auch der des leeren Wahns, auf den er wie auf einen Wagen leichtsinnig steigt (1 Mos. 41, 43), sich blähend und überhebend, um alle Gleichsetzung mit ihm aufzuheben.

[3] 17 Hiermit ist das Charakterbild Josephs umrissen; jeder der beiden Träume aber ist nun genau zu untersuchen, und zwar ist zunächst der Sinn des Traumes von den Garben zu erforschen. „Mich deuchte“, heißt es, „wir banden Garben“ (1 Mos. 37, 7). Gleich die Worte „mich deuchte“ sind der Ausdruck eines unklaren, zweifelnden, undeutlich erkennenden, aber nicht eines sicher und klar sehenden Menschen. 18 Denn denen, die von tiefem Schlafe aufstehen und noch träumen, ziemt es zu sagen „mich deuchte“, aber nicht den ganz Wachen und deutlich Beobachtenden. 19 Wird doch der Ringer Jakob nicht sagen „mich deuchte“, sondern (er sagt): „Siehe, eine Leiter erhob sich, deren Spitze [662 M.] reichte bis zum Himmel“ (1 Mos. 28, 12), und wiederum: „Als sich die Schafe befruchteten, sah ich sie mit meinen Augen im Schlafe, und siehe, die Böcke und die Widder sprangen auf die Schafe und die Ziegen, und sie waren ganz weiß und bunt und graugesprenkelt“ (1 Mos. 31, 10. 11). 20 Denn auch die Traumgesichte derer, die glauben, das Gute sei um seiner selbst willen erstrebenswert, pflegen notwendig klarer und reiner zu sein, wie auch ihre am hellen Tage vollbrachten Taten wertvoller sind.

[4] 21 Ich wundere mich aber, wenn ich von dem Erzähler des Traumes höre, daß er meinte, Garben zu binden, nicht zu mähen. Jenes ist die Arbeit von Ungelernten und Untergebenen, dies aber die Sache von Führern und in der Landwirtschaft Erfahrenen. 22 Denn die Kunst, das (zum Leben) Nötige von den Hülsen zu scheiden, das Nahrhafte vom Nichtnährenden, das Echte vom Unechten und von der nutzlosen Wurzel die sehr nützliche Frucht, gehört, weniger bei den Dingen, die die Erde hervorsprießen, als bei denen, die die Vernunft wachsen läßt, zur vollendetsten Tugend. 23 Die heilige Schrift nun läßt die Schauenden als Schnitter auftreten, und zwar seltsamerweise als Schnitter nicht der Gerste und des Weizens, sondern als Schnitter des Schnittes selbst. So heißt es: „Wenn ihr schneidet euren Schnitt, sollt ihr es nicht bis zum letzten Rest des Schnittes vollenden“ (3 Mos. 19, 9). 24 Sie (die heilige Schrift)

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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/66&oldid=- (Version vom 7.10.2018)