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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

aus begriffen, die eine Art Pforte zu jener ist. Denn wie die Leute, die Städte besichtigen wollen, durch Pforten in sie hineingehen, so werden alle, die die unsichtbare Welt erkennen wollen, durch die Vorstellung der sichtbaren geleitet.[1]

[33] 189 Hierüber nun genug. Es gehört aber zu derselben Gattung noch ein anderer Traum, nämlich der von der bunten Herde, den der Träumer, als er sich wieder erhoben hatte, mit folgenden Worten schildert: „Und der Engel Gottes sprach zu mir im Traum: Jakob! Ich aber antwortete: Was ist? Und er sprach: Blicke auf mit deinen Augen und sieh die Böcke und die Widder, die die Schafe bespringen und die Ziegen; sie sind durch und durch weiß[2] und bunt und graugesprenkelt. Denn ich habe alles gesehen, was Laban dir tut. Ich bin der Gott, der dir am Orte Gottes erschien, da du mir eine Säule gesalbt und mir ein Gelübde gelobt hast. Jetzt nun stehe auf und ziehe aus diesem Lande und gehe davon in das Land deiner Geburt, und ich werde mit dir sein“ (1 Mos. 31, 11–13). 190 Man sieht, daß Gottes Wort als gottgesandte Träume nicht nur solche anführt, die von dem ältesten Urgrund, sondern auch solche, die durch seine Verkünder und die Engel in seinem Gefolge hervorgerufen werden, die von dem Schöpfervater eines göttlichen und seligen Loses gewürdigt wurden. Doch achte auch auf folgendes: 191 Die heilige Schrift teilt den einen wie ein König durch Gebot das mit, was sie tun sollen, die anderen leitet sie wie ein Lehrer seine Schüler zu dem an, was zu ihrem Nutzen dient, wieder andere bringt sie wie ein Ratgeber auf die besten Gedanken und nützt ihnen viel, die aus sich heraus das ihnen Zuträgliche nicht erkennen, und wieder anderen trägt sie wie ein Freund mit Milde und Überredung vieles zu, auch Unsagbares, das kein Ungeweihter hören darf. 192 Manchmal [650 M.] fragt sie einen auch wie den Adam: „Wo bist du?“ (1 Mos. 3, 9), worauf man eigentlich hätte antworten müssen: „Nirgends“,[3] da alles Menschliche nicht in dem gleichen Zustande verharrt, sondern sich bewegt, und zwar die Seele ebenso wie der Körper und die äußeren Güter. Denn unstät sind die Gedanken, da wir von denselben Dingen nicht dieselben, sondern entgegengesetzte Vorstellungen haben; unstät ist


  1. Die im Text eingeklammerten Sätze wurden in die Übersetzung nicht aufgenommen.
  2. So muß διάλευκοι hier übersetzt werden in Rücksicht auf § 201, wo Philo dem διά diese Bedeutung zuschreibt.
  3. Anders erklärt All. Erkl. III 53.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/49&oldid=- (Version vom 7.10.2018)